Einer Gemeind Lengnouw und Allment Ordnung

So lautet die Überschrift des wohl ersten Gemeindereglements von Lengnau, wie es im Jahre 1646 der Regierung in Bern zur Genehmigung vorgelegt wurde. Anlass zu diesem Schritt gab offenbar die Tatsache, dass immer mehr «Ussere und Frömde» sich im Dorf ansässig zu machen begehrten. Ferner soll man bedenken, dass zu jener Zeit die Witi vermutlich ausser Streue nichts abwarf. Dazu musste der Itenberg, damals noch Mediatsgebiet, mit Grenchen geteilt werden, und Büren hatte das Recht am Itenberg Holz für den Brückenunterhalt zu fällen. Das spätere Rebgelände war mit Dorngestrüpp und Niederholz überwachsen. Die nutzbare Fläche der Gemeinde war also sehr eng begrenzt. So kann man das Verlangen nach einem obrigkeitlichen Schutz gegen fremden Zuzug verstehen.

In unsere Schriftsprache übersetzt lautet die Urkunde wie folgt:

Dorf- und Allmendordnurıg von Lengnau vom 15. Mai 1646 Schultheiss und Rat zu Bern beurkunden:

Unsere getreuen Untertanen von Lengnau, im Amt Büren, haben uns ersucht, die von ihnen aufgestellte Dorf- und Allmendrechts-Ordnung zu sanktionieren. Nach Prüfung derselben durch einige unserer Ratsmitglieder haben wir sie genehmigt; sie bestimmt:

1. Wenn ein Dorfangehöriger das Allmendrecht beanspruchen will, soll er sich über eine wohlversehene Behausung mit währschaften Öfen und guten Türlein samt Zubehör, sodass sich ohne Gefahr mit Feuer und Licht darin wohnen lässt, ausweisen, am heiligen Abend (24. Dezember) darin eingezogen sein, hierauf am Neujahrstag beim Ammann sich melden, sich der Gemeinde (Versammlung) stellen und 5 Kronen erlegen; dann hat er den Allmendteil zu geniessen wie jeder andere Dorfgenosse, soll aber auch die gleichen Pflichten tragen und sich mit einem Eimer (Feuereimer) und einer Laterne versehen.

2. Stirbt der Hausvater, so hat die hinterlassene Witwe, so lange sie lebt, Anspruch auf die Nutzung des Allmendteils. Nach ihrem Tode - somit nach Absterben beider Eltern - fällt, wenn Feuer und Licht auslöschen, das heisst wenn die selbständige Haushaltung aufhört, der Allmendteil wieder der Gemeinde anheim, auch wenn Söhne und Töchter vorhanden wären.

3. Die Gemeinde ist nicht verpflichtet, Äussere oder Fremde, auch wenn sie Eidgenossen wären, zu Dorfgenossen anzunehmen, indem die Gemeinde zur Zeit mit Leuten genügend versehen und ihr Territorium von solothurnischem und bischöflich-baselschem Gebiet umschlossen ist. Wenn sie aber einen annimmt, nachdem er zuvor genannte Bedingungen erfüllt haben wird - so muss er für den Einkauf 600 Pfund* entrichten. Davon sind dem bernischen Landvogt zu Handen der Obrigkeit 100 Pfund abzuliefern, wie das nach altem Brauch auch von früher geringerem Einkaufsgeld geschah; 100 Pfund muss die Gemeinde in ihr Reisgeld (Geldreserve für Kriegs- und Mobilisationszeiten) legen, die übrigen 400 Pfund fallen zu nützlichen Zwecken in die Gemeindekasse. Zum Zeichen der Gutheissung und Bestätigung dieser Ordnung haben wir sie der Gemeinde Lengnau unter dem Siegel der Stadt Bern ausfertigen lassen.

Bereits im Jahre 1663 erfolgte auf Begehren der Lengnauer eine Teilrevision dieses Dorfbriefes. Offenbar hatte sich die Situation inzwischen noch verschlimmert. Hier die Inhaltsangabe der

Urkunde vom 10. Dezember 1663:

Von der Obrigkeit in Bern, das heisst dem Rat = Regierung, erhielt die Gemeinde Lengnau, in der Herrschaft Büren, im Jahre 1646 einen Dorfbrief, der eine Bestimmung enthielt, dass keiner den Allmend-Anteil beanspruchen könne, es sei denn, dass er ein eigenes Haus und Heim besitze. Diese Vorschrift wurde auch bisher eingehalten. Da nun aber seither die Mannschaft (heiratsfähige männliche Bevölkerung) sich stark vermehret hat, nicht jeder ein Haus zu bauen vermag, im Dorf keine freien Hausplätze mehr da sind und ausserdem Mangel an Bauholz eingetreten ist, hat die Gemeinde beschlossen, es sei zu gestatten, dass zwei Haushaltungen unter einem First leben dürfen, und auch jede einen Allmendanteil erhalte, wenn sie eine eigene Stube, Tenn und Stallung habe, alles ohne dass im übrigen der Dorfbrief dadurch beeinträchtigt werde. Eine Abordnung von Lengnauern

ersucht den Rat von Bern um Genehmigung dieser Abänderung.

Diese Genehmigung spricht der Rat von Bern am 10. Dezember 1663 aus für so lange, als es ihm beliebt und die Zeitumstände keine Ursache zu Änderungen geben. Er erteilt den Lengnauern darüber die mit dem Siegel der Stadt Bern versehene Urkunde.

Es mutet heute eigenartig an, aus der Zeit vor 300 Jahren von Überfremdung, Wohnungs-, Bauland und Holzmangel zu hören. Damals bedurfte es also einer besonderen Bewilligung, wenn zwei Familien unter einem First wohnen wollten. Heute ist ein Wohnblock mit dreissig und mehr Wohnungen nichts besonderes.

Die Dorfbewohner von damals mussten von dem leben, was der karge Boden hergab. Ihr Verhalten gegenüber den Zuzügern war eher Selbsthilfe als Engherzigkeit. Diese Zuzüger waren vielleicht Flüchtlinge oder Opfer aus dem 30-jährigen Krieg, Elsässer oder Leute aus dem Bistum, welche Zuflucht suchten. In der Geschichte wiederholt sich wirklich alles.