Römische Spuren in Rapperswil
Bevor die Schweiz in das römische Reich eingegliedert wurde, war sie von drei Völkern bewohnt: den Kelten (Allobroger, Helvetier, Rauriker, Sequaner), den Rätern und den Lepontiern. Die Lepontier waren ein mit südlichen Völkern vermischter Keltenstamm, der beidseits der Alpen das Tessin, das Oberwallis und die Oberläute des Rheins bewohnte.
Nach der Niederlage der Helvetier bei Bibracte kehrten die Rauriker, welche an der Seite der Helvetier gegen Caesar gekämpft hatten, wieder in ihre ursprünglichen Gebiete zurück. Die Helvetier liessen sich zwischen Genfersee, Jura, Rhein und Bodensee nieder. Wie man heute annimmt und aus Caesars sorgfältigen Aufzeichnungen im Werk «Galischer Krieg» interpretiert, wurden die Helvetier weder untenworfen noch einverleibt, sondern in die Kategorie «befreundete» Völker aufgenommen; denn sie dienten als Kämpfer gegen die vordringenden Germanen.
Zu einer wichtigen Einrichtung in der Römerzeit wurde Aventicurn (Avenches). Als helvetischer Hauptort wurde es 71 n. Chr. römische Kolonie mit allen Rechten. lhr voller Name: Colonia Pia Flavia Constans Emerita Foederata Helvetiorum, d.h. fromme flavische standhafte verbündete Veteranenkolonie der Helvetier.
Das bedeutete eine Ehrung der lokalen Elite, die der ganzen Gegend beachtlichen Gewinn brachte. Denn viele Leute, darunter auch römische Bürger, zogen ins schweizerische Mittelland. Einheimische scheinen ohne Einschränkung das römische Bürgerrecht erhalten zu haben.
Die Epoche vom Beginn unserer Zeitrechnung bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts wird als Pax Romana (Friedenszeit im römischen Kaiserreich) bezeichnet. Sie brachte für die römische Schweiz eine Zeit bedeutender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung. Die Verschmelzung der keltischen mit der mediterranen römischen Kultur schien reibungslos verlaufen zu sein und brachte tief greifende Veränderungen des Denkens, der Lebensführung, der Sitten und Bräuche. Die Urbanisierung war wohl die wichtigste, jedenfalls die sichtbarste Erneuerung. Die Gallier und Helvetier kannten mit den Oppida zwar stadtähnliche Siedlungen, doch erst die Römerzeit brachte die wirtschaftlichen, kulturellen, religiösen, verkehrstechnischen und militärischen Zentren mit grossartigen Kunstwerken, Einrichtungen und einer bisher unbekannten Wohnkultur hervor. Die Städtekultur strahlte auch aufs Land aus. Es entstanden beinahe 20 Dörfer (vici wie Lousanna, Petinesca, Salodurum, Lenzburg, Turicum, Vitudurum etc.) und Hunderte von Villen mit ihren Gutshöfen. Nicht alle ländlichen Wohnstätten waren von Römern bewohnt. Der einheimische Adel und die Bauern bewirtschafteten die Güter. Sie nahmen am Aufschwung besonders teil. Das beweisen die Funde: Die schönsten Malereien, die prunkvollsten Mosaike, die luxuriösesten Bäder und interessantesten Gegenstände finden sich auf dem Land im Westen und Süden der Schweiz in eben solchen Villen.
Entscheidende Impulse durch die Römer erhielt auch die Landwirtschaft. Entlang der Heerstrassen entstanden viele römische Gutshöfe mit Ausmassen von bis zu 400 ha. Ein Teil des Landes wurde meistens vom Besitzer selbst mit Leibeigenen bewirtschaftet, der übrige Teil an Kolonen (freie, an ihren Landbesitz gebundene Pächter) gegen Abgabe der Hälfte bis zwei Drittel des Ertrages. Die Römer verbreiteten den Weinbau. Sie brachten viele Edelobstsorten (Kirsche, Pflaume, Zwetschge, Birne, Pfirsich, Aprikose), auch die Walnuss und die Edelkastanie in die Schweiz. Roggen wurde angebaut. An Haustieren verdanken wir den Römern verschiedene Hunde- und Ziegenrassen, das Haushuhn, die Gans, den Pfau und die Ente.
in unserer Nachbargemeinde Messen befand sich unmittelbar nördlich der Kirche das Gehöft einer wohlhabenden helvetischen Familie. Sie konnte sich Wein aus Italien und entsprechendes Tafelgeschirr leisten. Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. bestand auf dem Geländesporn ein kleines, von Gräben umfriedetes, weiss getünchtes Pfostenhaus aus Lehm. Vielleicht die Nachfahren dieser Helvetier erweiterten die Liegenschaft im ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr. mit mehreren Gebäuden, die zuerst aus Holz und Lehmfachwerk, später aus Stein errichtet wurden. Zusammen mit der unter der heutigen Kirche angeschnittenen Residenz dürften sie zu einem grösseren Gutshof gehört haben (SPM, Band V, Römische Zeit, S. 386).
im westlichen Rapperswiler Plateau fanden sich etliche Siedlungsspuren aus der Römerzeit. Östlich der wichtigen Hauptstrasse Aventicum-Petinesca-Salodurum-Vindonissa muss ein römischer Weg über den südlich der Kirche gelegenen Eierhubel nach Osten geführt haben. Auf dieser Anhöhe wurde nämlich 1805 beim Roden des dortigen Eichenwaldes ein «ziemlich weitschichtiges Steinpflaster von einer Römerstrasse gefunden» (G. Appenzeller, S. 10; siehe auch AHI-Nr. 010.003, Otto Tschumi S. 330, Albert Jahn S. 348). Beim Pflügen des gewonnenen Ackerbodens stiessen Bauern auf weitere Pflastersteine, ebenso auf die Grundmauern eines kleinen Gebäudes, die aus «sehr grossen Blöcken von einer hier ganz fremden, dunkelfarbigen Steinart» bestanden (G, Appenzeller, S.10). Einige wurden zur Befestigung des Wilbachufers benutzt. 1814 wurden bei der Erweiterung des Kirchhotes der alten Kirche und beim Abbrechen des alten Schulhauses grosse
Steinplatten gefunden und fürs Stollen-Primarschulhaus verwendet. Dazu wurden auch eine Menge römischer Leistenziegel aus Ton, Mosaikwürfel und goldene und silberne Münzen ausgegraben, die leider verloren gegangen sind (AHI›Nr. 010.003). Beim Ausgraben von Eichenstöcken im selben Raum kamen Schwerter und Spiesseisen, von der breiten, kurzen Form römischer Schwerter und mit Stacheln versehene Sporen zum Vorschein. Auch in Moosaffoltern sind römische Münzen gefunden worden, unter anderem ein Hadrianus und ein paar kupferne von Probus und Maximinianus Herculius (AHI-Nr. 010.000, Jahn, S. 431; O. Tschumi S. 330) und wahrscheinlich auch die unten abgebildete Eisenaxt (Albert Jahn, Kt. Bern, S. 349, BHM lnv. Nr. 14237).
Die Funde von Moosaffoltern gehören zu jenen, die anlässlich des Baus der Kantonsstrasse Münchenbuchsee » Büren a. A. (1849-52) gemacht wurden, als man im unteren Leenwald einen Waldhohlweg durchschnitt. 1882 liess Dr. Uhlmann weitere Grabungen machen, und zwar rund 200 Meter weiter oben bei einem Waldhügel, der sich am Hohlweg befindet (Koord. 599 550/210 400). Dabei kamen auf einer Fläche von einigen hundert Quadratmetern die Grundmauern eines römischen Gebäudes mit einem quadratischen und drei rechteckigen Räumen mit gut erhaltenen Fussböden zum Vorschein. Dort fand man auch Leisten- und Hohlziegel, einen roten Wandbelag, viele Eisennägel, verglaste Steine, die Randscherbe einer Milchsatte (flache Schüssel), Brandschutt und vieles mehr. Einige Fundgegenstände gelangten ins historische Museum Bern. Sie wurden nach einer Revision in den 1950er-Jahren aus dem Inventar entlassen (BHM lnv. Nr. 16423-16459; AHI-Nr. 010.004; Otto Tschumi, S. 330; Dr. Uhlmann, Collectana 2, handschriftliche Notizen und Zeitungsausschnitte in der Abschrift von A. Burkhardt, Arch. Dienst des Kantons Bern).
Zwei schöne Fundstücke der Römerzeit sind ein Ziegelfragment mit dem Legionszeichen der ><l. Legion und ein Votivstein.
Bis 1969 befand sich das Ziegelfragment in der Sammlung der Sekundarschule Rapperswil und wurde nach Intervention des Sekundarlehrers Dr. Markus Flückiger in die Sammlung des Historischen Museums Bern aufgenommen; denn Ziegel mit Legionszeichen sind selten. Vermutlich gehört das Ziegelfragment zu den Fundstücken der Ausgrabungen von Dr. J. Uhlmann im unteren Leenwald.
ln der Schulsammlung befanden sich nämlich weitere Ziegelstücke, welche von ihm beschriftet wurden. Es könnte aber auch zu den römischen Leistenziegeln gehören, welche lm Raum der alten Kirche Rapperswil in den Jahren 1805 und 1814 gefunden wurden.
«Auf dem Ziegelfragment lässt sich entziffern: <LEG XI C>. Das bedeutet: Legion XI. Nach der Zahl elf folgten die Buchstaben C. RE, Wenigstens ist ein C zu erkennen. GRE war die gebräuchliche Abkürzung von <Claudia Pia Fidelis›, das heisst die claudische, pflichtbewusste, treuergebene Legion. Dies war der Zuname der XI. Legion, welchen sie sich durch ihre korrekte Haltung bei einer Militärrevolte unter Kaiser Claudius (41-54 n. Chr.) verdient hatte. Von 70 bis 107 n. Chr. hatte die XI Legion ihr Standquartier in Vindonissa.›› (Legende von Dr. Markus Flückiger, 1972, auf der Rückseite der Originalfoto)
Der Votivstein (AHI-Nr. 0l0.003) wurde 1790 im Gelände der alten Kirche Rapperswil gefunden, galt dann bis 1814 als vermisst und wurde in einer kleinen Mauer unter dem Vordach der alten Kirche wieder entdeckt. Heute befindet er sich in der Mauer hinter dem alten Pfarrhaus von Rapperswil. Der aus Jurakalk gefertigte und mit einer zierlichen Randeinfassung versehene Stein trägt folgende,
leider beschädigte lnschrift:
ME(RC)VRIO . AVG. †
STA(TIVS SATVR)NlN , CANVS .
EX . V (OTO PE) CVNIA SVA
F(ECIT)
Dem heiligen Merkur †
machte Statius Saturnus Canus
infolge eines Gelübdes mit seinem Gelde
(dieses Denkmal)
Auf dem Stein sind zwei runde Löcher eingelassen, die vermutlich zur Befestigung einer Merkurstatue dienten. Die Statue selbst, wohl aus Bronze, wurde nie gefunden. Der Widmungsstein stammt wahrscheinlich aus dem 2., spätestens 3. Jahrhundert n. Chr., der Blütezeit des Römerreichs und des helvetischen Galliens. Damals wurden viele Denkmäler errichtet. Der blühende Handel führte zur starken Verbreitung der Verehrung Merkurs, des Gottes des Handels und des Verkehrs. Man beachte das etwas ungelenke †, das in der obersten Zeile hinzugefügt wurde; wohl ein Zeichen, das nach der Christianisierung zur Tilgung heidnischen Aberglaubens beigefügt wurde. Der ursprüngliche Fundort des Votivsteins ist unbekannt. Es ist aber möglich, dass sich an der oben erwähnten Strasse zum Eierhubel ein römischer Tempel zu Ehren Merkurs befand. Oft wurden christliche Kirchen, Kapellen und Klöster im Mittelalter an solchen von jeher heiligen Stellen errichtet, welche vom Volk verehrt wurden.
Zu den religiösen Kulten der römischen Schweiz: Die religiösen Bauten nahmen in den Städten wie in den Dörfern einen beherrschenden Platz ein und beweisen, zusammen mit den vielen Votivgaben, den Statuen und Darstellungen von Gottheiten, die Frömmigkeit der Gesellschaft in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit. Das ganze Universum war erfüllt von grossen und kleinen Göttern, die man um Hilfe bat oder denen man seine Dankbarkeit mit Weihgeschenken bezeugte. Dabei behielten die keltischen Gottheiten ihre Anhänger; ja die Romanisierung bewirkte eine Verschmelzung keltischer und römischer Götter. Zentral war der Kaiserkult, dem sich alle Reichsuntertanen zu unterziehen hatten; darauf weist auch der Augustus- Zusatz im Rapperswiler Votivstein «Mercurio Aug» hin.
Hinter der gewaltigen Grösse und Macht des Römerreiches im 3. Jahrhundert n. Chr. verbarg sich bereits seine Schwäche: politische lnstabilität, wirtschaftliche und soziale Krisen, riesige Verteidigungskosten. Die Epoche der Pax Romana nahm ihr Ende. ihren Höhepunkt erreichte die Krise mit der Gefangenschaft Kaiser Valerians 260 n.Chr. in Persien. Sein Sohn Gallienus, der gegen den Usurpator lngenuus zu kämpfen hatte, wurde gezwungen, seine Truppen von der Rheingrenze zurückzuversetzen. Die Alemannen konnten ins schweizerische Mittelland eindringen. Gallien fiel vom Reich ab und errichtete ein Sonderreich. Eine lange Zeit der Unsicherheit und Wirren nahm ihren Anfang. Die Städte, Dörfer und Gutshöfe wurden überfallen, geplündert und zerstört. Über 70 Funde von vergrabenen Münzschätzen aus den Jahren 250 - 280 legen Zeugnis ab von der drohenden Gefahr. Nur das Wallis blieb von den Eindringlingen verschont.
Nach wie vor gehörte die Schweiz zum Römerreich. Gallienus liess die Verteidigungslinie an den Rhein verlegen und verstärkte die Mauern des Legionslagers Vindonissa.
Die Kaiser Diokletian und Konstantin stellten das Strassennetz wieder her und errichteten Kastelle zur Verteidigung und für Gegenschlage. Die Grenzbefestigung, der Limes, entlang des linken Rheinufers wurde 371 von Valentinian vollendet. Trotz riesiger militärischer Anstrengungen und unzähliger Feldzüge gelang es den Römern nicht, in Helvetien Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Die Städte wurden verlassen, die Bevölkerung zog sich an Orte zurück, die Schutz boten. Die Bauten lieferten Material für Verteidigungsanlagen.
Das Ende der römischen Zeit in der Schweiz wird oft auf das Jahr 401 festgelegt. Stilicho, der Heerführer des Kaisers Honorius, zog die Truppen vom Limes zurück. Heute nimmt man nicht mehr an, dass damit Verwaltung und Lebensweise der vorhergehenden Jahrzehnte kurzerhand verschwanden. Vielmehr fand eine kontinuierliche Entwicklung vom spätantiken Leben zu jenem des Frühmittelalters statt, welche anscheinend recht gewaltlos verlief und damit endete, dass sich die Burgunder im Südwesten und die Alemannen im Norden der Schweiz niederliessen.