Die Kanalmühle bei Treiten
Das ganze Grosse Moos bildete vor der ersten Juragewässerkorrektion «eine unbewohnte Fläche, auf welcher die sogenannte Kanalmühle als vereinzelte menschliche Wohnung wie eine Oase in der Wüste erschien», schreibt J. R. Schneider in seiner bekannten Denkschrift über «Das Seeland der Westschweiz und die Korrektion seiner Gewässer». Das Bild stimmt insofern nicht ganz, als wir es nicht mit einer Sand- oder Felswüste zu tun haben, sondern mit einer weiten Fläche, bedeckt mit Sümpfen, Glunggen, Wasserläufen, schwankenden Weiden, Dornen und anderem Gestrüpp und vereinzelten Bäumen, über welche zur Sommerszeit des Abends ein schauerliches Konzert von Millionen von Fröschen und Unken erschallte, von Zeit zu Zeit noch verstärkt durch das Stierengebrüll der grossen Rohrdommel, eines reiherartigen, bussardgrossen Dämmerungs- und Nachtvogels.
Die kleine Häusergruppe der Kanalmühle finden wir auf der Karte südlich des Dorfes Treiten, doch klappert die Mühle längst nicht mehr. Der Betrieb wurde nach unsern Notizen bereits im Jahre 1876 eingestellt. Wann sie gebaut wurde, konnte ich nicht mit aller Sicherheit feststellen. Vermutlich wurde sie aber zur gleichen Zeit in Betrieb genommen wie die Wirtschaft am Kanal, von der wir sichere Kunde besitzen. Als die Berner 1645 den Bau des Aarbergerkanals in Angriff nahmen, da bauten sie an dessen Ufer südlich von Treiten eine Wirtschaft, wohl um den Taglöhnern und Gemeindewerklern aus dem ganzen Seeland und weiterher einen Unterschlupf zu bieten bei Schlechtwetter und wohl auch zur Einnahme der Mahlzeiten in der kälteren Jahreszeit.
Der Aarbergerkanal wurde in den Jahren 1645-1647 gebaut und verband den Neuenburgersee mit Aarberg, indem er von der Broye hinweg an Müntschemier und Treiten vorbei zwischen Siselen und Kallnach hindurch nach Aarberg führte. Ob der Kanal auch noch zur Entwässerung dienen sollte oder ob gar militärische Überlegungen mitbestimmend waren beim Bau, das mag dahingestellt bleiben. In der Öffentlichkeit begründete man das grosse Werk mit der «Ersparung vieler Unkosten der Wein- und Salzfuhren».
Da hierzulande keine Fachleute für Kanalbau zu finden waren, berief man aus Holland einen «Canal-Zimmermeister» in der Person des Mr. Jacob Emmenes, dessen Kenntnisse und Fähigkeiten für die grosse Aufgabe vermutlich nicht zu genügen vermochten, wie der spätere Betrieb leider noch bald einmal erkennen liess.
Aus der ganzen Runde wurden die arbeitsfähigen Leute zur Mithilfe aufgeboten. Wie weit sich der Kreis der Aufgebote etwa erstreckte, mag die Notiz in einer Burgdorfer Chronik erweisen, nach welcher auch 100 Burgdorfer am Aarbergerkanal arbeiteten.
Öppe grad hell begeistert war man im Seeland nicht ob der Idee der Gnädigen Herren und Oberen. Die Fuhrleute fürchteten für ihr Gewerbe, die Bauern sahen ihr Land im Moos bedroht. Ausgenommen das Amt Erlach scheint das ganze Gebiet des Seelandes in mehr oder weniger sichtbare Aufregung geraten zu sein, wie wir einer Mahnung Berns entnehmen, das Volk solle «den Moospuren» kein Gehör schenken. Die Amtsleute von Erlach, Aarberg, Nidau und Murten wurden beauftragt, durch Publikation von den Kanzeln weitere Widersetzlichkeit «bey verwürkung lyb und guts» zu verbieten. Was vorher offen geschehen war, tat man jetzt im geheimen. Des Tags mit viel Mühe und Schweiss geöffnete Gräben schütteten die Gegner im Schutze der Nacht heimlich wieder zu. Das grosse Werk stand auch weiterhin in keinem guten Ansehen.
Der Aarberger Prädikant Johann Rudolf Philipp Forrer schrieb während einer Reihe von Jahren allerlei interessante Begebnisse in eines der Kirchenbücher ein. So finden wir im Sommer 1646 folgende Notiz von seiner Hand:
«Am 8. Augusti 1646 liess obfvermeldter Mr. jakob Ernmenes von der Aaren das Wasser dess Ersten mals zvollem durch den Canal dem mass zuo Iouffen. Mittwochens, den 12. Augusti hat der Thuner Hanss, ein Schiffmann von Bern, umb die halbe viere gegen dem Abend das erste mal ein halb Schiff mit Siben Zigen und einem lähren vass geladen, uss der Aaren In Canal gführt, dem Oberen See zu. (Oberer See = Neuenburgersee; der Bielersee hiess der untere See.) Am 11. September 1646 hat man z'Erst mal ein Schiffeten rnit Salz von dreyssig vassen den Canal erab allhar gebracht und die Aaren hinauf nach der neuen Brügg gezogen.
Montag, den 26. Oktober hatt mann angfangen die Erste Schiffeten rnit Weyn von hier nach der neuen Brügg (Neubrück bei Bern) auf Bern zu ferggen, wo man aber erst am Donnerstag darkommen (ist).»
Der Kanal war also fertig und hatte die Probe gut bestanden. Henry de Treytorrens von Yverdon übernahm zusammen mit einem Konsortium gegen 1000 Kronen Pachtzins die Aufsicht darüber, wobei er sich an die obrigkeitlichen Durchfuhrtaxen zu halten und die notwendigen Reparaturen auf seine Kosten auszuführen hatte. Es schien am Anfang, als ob der Betrieb des Kanals ein lukratives Geschäft darstelle, doch schon nach zwei Jahren zeigte sich, welch düsteres Schicksal über dem Bauwerk schwebte. Trotzdem man für Planung und Ausführung einen gewitzten Fachmann aus Holland zugezogen hatte, er zeigte sich noch bald einmal, dass dieser mit den Tücken des Moosbodens nicht zurecht gekommen war.
«Am 10. Oktober 1648 ist die Canal Brugck gegen Walperswyl zuo unfürsehentlich nídergesunkerı und hat der äneren Waagböümen einer ein schön ross ztod gschlagen, (gehörte) dem Christen Glaser, dem Cronenwirt und Burgerrneister zuo burgdorf, dessen Karrer auch schier wär druf gangen.
So fing es an und dann riss die Kette der üblen Vorkommnisse gar nicht mehr ab.Von einer Rendite war rasch keine Rede mehr, und die Kanalpächter traten von ihrer Pacht zurück. Dies geschah mehrmals hintereinander, obwohl der Zins zuletzt rigoros herabgesetzt wurde.«Am 3. November 1651 hat infolge der furchtbaren Wassergrösse das Canalwerkmerklich übel gelitten. Dess Canals schaden ward über 3000 Cronen gschetzt . . .» Zuletzt fand sich überhaupt kein Pächter mehr, welcher die Auflage der Instandstellung auf sich nehmen wollte. Was Wunder, dass Bern den Betrieb selbst übernahm, sich aber rasch überzeugen musste, dass ein selbsttragender Betrieb nicht möglich war. Der Canal zerfiel zusehends. Im Jahre 1718 war er gänzlich unbrauchbar geworden, und auf eine Wiederherstellung wurde angesichts der misslichen Lage endgültig verzichtete.
Heute ist der Kanal zugeschüttet und verschwunden. Nur ganz wenige Flurnamen und das Besitztum einiger Gemeinden künden noch von der seinerzeitigen Existenz des so grosszügig geplanten Werkes. So wurde damals der Gemeinde Müntschemier als Ersatz für verlorenen Boden und für den erstellten «steinigen Dienstweg» zur Ländte ein Stück des gemeinen (dem Staat gehörigen) Mooses abgesteckt und zugeteilt im Halte von ungefähr 100 Jucharten.für durch den Kanal verursachte «unkomlichkeit erhielt Brüttelen schon 1646 einansehnliches Stück Moos; an Treiten fielen zirka 32 Jucharten, an Finsterhennen 21 und an Lüscherz 18 Jucharten.
Doch kehren wir zur Kanalmühle zurück. Bern verkaufte sie samt der Wirtschaft am 17. Dezember 1666 um 4000 Pfund an Johann Ludwig Frisching, Vogt zu Aarberg. Der Erwerber durfte die zur Mühle gehörenden Matten einschlagen (einzäunen), heuen, emden und weiden, alle in diesem Bezirk vorhandenen Quellen in einen laufenden Brunnen leiten, längs der Mühleparzelle im Kanal fischen, nachBedarf Kies ausbeuten, auf dem Moos seine Kühe weiden lassen und hinter Erlachdas nötige Brenn- und Bauholz fällen.Die Mühle verfügte über 2 Mahlgänge mit Rönnlen, eine Öle, eine Reibe und eineSchleife. «Für das Oele- und das Reibrecht», sagt Friedli, «musste die Kanalmühle 2 Immi Weizen, für das Schleifrecht zehn Schilling an das Schloss Erlach entrichten.Wer nun aus Ins jeweils in einer Ziehen (Deckbettanzug) eine Rybeten Werch nach der Kanalmühle brachte, versäumte nicht, gleich auch ein kleines z'Mühli Korn mitzunehmen, um sich kulantere Bedienung zu sichern» Es würde zu weit führen, dem Schicksal der Kanalmühle-Liegenschaft durch die 2 Jahrhunderte ausführlich nachzugehen. Sie änderte mehrmals die Hand und kam vor der Mitte des letzten Jahrhunderts an die Inselkorporation in Bern, welche die heute noch benutzte Scheune bauen liess. Die Mühlekonzession und das Wasserrecht gingen 1874 durch Zwangsenteignung an das Unternehmen der Juragewässerkorrektion. Aus dem Besitz der Torfgesellschaft Bern kam der punkto Grösse recht ansehnliche, arrondierte Bauernhof 1877 an Johannes Augsburger von Schangnau.
Es ist anzunehmen, dass nicht alle seitherigen Besitzer das Ihre zum Gebäudeunterhalt beitrugen, denn bei der Handänderung von 1929 übernahm der heutige Besitzer ein ziemlich verwahrlostes Heimwesen. Der damals noch bestehende Mühlekanal zum Wasserrad wurde zugeschüttet, der Zugang zum Gebäude auf die südliche Längsseite verlegt, aus den Räumen der ehemaligen Mühle und des Beizleins ein Wohnhaus errichtet.Der aufmerksame Besucher findet hinter dem neuen Wohnstock noch das alte, in eine Garage umgebaute Ofenhaus, über dessen Zugangstüre sich seinerzeit ein Schluss-Stein befand mit den Initialen GM und der Jahrzahl 1775. Dieser Stein findet sich heute gut sichtbar links des Garagetors im Mauerwerk.