Sieben Eichen, der Wallfahrtsort im obern Seeland

Nordwestlich der zur Gemeinde Lüscherz gehörenden Häusergruppe Gurzelen stand vor der Reformation die Kapelle zu Sieben Eichen, welche während eines halben Jahrhunderts als vielbesuchter Wallfahrtsort zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte. Neben dieser Kapelle hatte um 1500 ein Waldbruder, ein Einsiedler, seine Hütte, der von den Gaben der frommen Wallfahrer lebte.

Ein alter Mann in Gurzelen erzählte uns, in der Nähe des Ortes, wo man mit mehr oder weniger grosser Sicherheit den Standort der Kapelle vermute, seien in einem Acker, der heute mit Wald bestanden ist, vor vielen Jahren beim Pflügen Mauersteine zum Vorschein gekommen, die sehr wohl von der Klause des frommen Mannes herrühren konnten. Nachgrabungen an Ort und Stelle, meinte er, würden Sicherheit verschaffen, denn die in ältern Berichten erwähnten Mauerreste habe er nie gesehen.Aeschbacher spricht in seiner Studie über Lüscherz die Vermutung aus, bei dieser Kapelle könnte es sich um die Kirche handeln, welche die Dorfbewohner um das Jahr 1470 zu bauen beabsichtigten und für Welche sie weitherum Gaben sammelten. So hätte ihnen z. B. die Stadt Biel im Jahre 1473 «zehn Pfund zur Stür an den Kilchenbuw» gegeben.

Wir dürfen diese zehn Pfund mit rund Fr. 1000. bewerten. Ob die Lüscherzer so weit vom Dorf entfernt eine Kirche oder Kapelle erbauten, wagen wir füglich zu bezweifeln. Es wird wohl so gewesen sein, dass sie im Dorf eine Kapelle errichteten, welche in den Stürmen der Reformation, - wie so viele andere, - spurlos verschwunden ist, während Sieben Eichen ein Bau für sich war, am Anfang Wohl nur als kleine Andachtsstätte zur Einsiedelei gedacht.In dieser weitgehenden Bedeutungslosigkeit wäre es vermutlich versunken, wenn nicht eine Frau Katharina Tüfers von Thunstetten, die Gattin des Ueli Wildermet von Erlach, auf verhängnisvolle Art und Weise eingegriffen hätte.

Mit ihrem üblen Treiben und einem gut aufgezogenen Schwindel mit Reliquien stiess sie bei den leichtgläubigen Zeitgenossen auf so unverzeihliche Zustimmung, dass alsobald die Wallfahrer nach Sieben Eichen zugeten. Nach wenigen Jahren musste eine neue,grössere Kapelle errichtet werden und das wiederum hob Wichtigkeit und Ruhm des neuen Wallfahrtsortes.Diese Kunde drang auch zu Ohren der bernischen Obrigkeit. Man beschloss, sich durch Nachschau orientieren zulassen. So mussten im November 1519 «die botten, so hinüber gan Erlach riten, den buw und die ornament der kilehen zu den siben eyehen besechen.» Ihr Bericht muss wenig alarmierend ausgefallen sein, denn erst 1522 entschloss man sich zum Eingreifen.

Frau Tüfers wurde gefanglich eingezogen und nach Bern gebracht, Wo gegen sie ein regelrechter Hexenprozess eingeleitet wurde.ln jener unbegreiflichen Zeit des krassesten Aberglaubens und der wahnwitzigen Hexenverfolgungen hatte die Frau gar keine Hoffnung, einem schrecklichen Tode zu entgehen. Sie wurde in den Turm gesteckt, vom Grussweibel eindringlich befragt, dessen Fragen durch den Nachrichter, den Fachmann für Tortur (= Folterung) und Todesstrafen, mit ausgeklügelten Martern unterstützt wurden. Der Lohn des Nachrichters oder Henkers hing von der Schwere der angetanen Qualen und der Schmerzhaftigkeit der verfällten Todesart ab. Die einschlägigen Bestimmungen der bernischen Ordnung enthielten unter anderem folgenden «Tarif»:


«Wann er einen armen übeltätigen menschen allein mitworten umb sin mistat uff dem turn fraget und im kein ander marter oder pin antut, darumb soll er nemen allein 10 Schilling nud nit me. Item wenn er uff den turn gut, ein persone, wip oder man, ze fragent an dem seil oder mit ander marter, ist sin lon ein Pfund Pfennige.
Wenn er einen menschen slechtlich (= einfach) richtet, ist sin lon 1 Pfund 5 Schilling.


Wenn er einen menschen radrechet, vierteilet, verbrennet oder lebendig vergrabet, oder ander glich swer töde (= andere gleichschwere Todesarten} antut, da ist sin lon in der schatzung als obstat zwifalt (doppelt so gross wie oben).»


Den fürchterlichen Quälereien vermochte Frau Tüfers nicht lange zu widerstehen. Sie gestand die unsinnigsten Dinge, wie ihr der Teufel erschienen sei und sie geheissen habe, den Leuten zu erzählen, dass ihr eine weissgekleidete Jungfrau erschienen sei, die ihr verkündete, dass in der Budley bei Vinelz das Haupt des heiligen Christoph und die Gebeine St. Michaels, St. Annas und St. Mauriziens vergraben seien. Alle Bedrückten sollen zu dieser heiligen Stätte wallfahren und ein Gelübde tun. Der Teufel habe sie auch gelehrt, was sie tun müsse, dass an der von ihr bezeichneten Stelle eine Kapelle als Wallfahrtsort gebaut werde.


Wie nicht anders zu erwarten, wurde die «Hexe» dem Scheiterhaufen übergeben. Auch die Wallfahrtskapelle sollte, als Wirkungsort der bösen Frau, verbrannt und dem Erdboden gleichgemacht werden. Doch hiegegen erhob sich allgemeiner Einspruch, dem sich selbst der Bischof von Lausanne anschloss.

Die Wallfahrt hatte offensichtlich reichen Gewinn eingetragen, und so blieb Sieben Eichen vorläufig bestehen. Mit der Reformation und dem daherigen Ausbleiben der Wallfahrer verlor aber die Kapelle ihre Daseinsberechtigung. Wann genau sie verschwand, hatniemand aufgeschrieben.