Strasse und Schiene
Die dem Jurasüdfuss vorgelagerte Senke bot dem Menschen seit je den kürzesten und flachsten Weg vom Genfer- zum Bodensee. Die Strasse der Kelten hielt sich an diese von der Aare durchflossene Talung, die grosse römische Militär- und Handelsstrasse folgte ihr und auch der mittelalterliche Ost - West-Strassenverkehr, der sich zwischen den süddeutschen Handelsstädten Augsburg, Ulm, Konstanz und den Messestädten Genf und Lyon entwickelte, hielt sich an diese Verkehrsader. Obrigkeitliche Subsidien, zeitweilige Zollfreiheit und Verträge zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit auf der Strasse förderten Rang und Namen dieser Ost - West-Hauptverkehrsachse der Schweiz, die im Laufe der Zeit an den vor Ueberschwemmungsgefahren geschützten Hügelrand verlegt wurde.
An diesem vielbefahrenen Verkehrsstrang lag das Dorf Lyss, das allerdings, im Gegensatz zu den mit Marktrecht versehenen Nachbarstädten Aarberg und Büren, vom Durchgangsverkehr kaum wesentliche wirtschaftliche Impulse empfing. Eine verkehrspolitische Aufwertung der Ortschaft
und einen vor allem für die bauliche Entwicklung des Dorfes bedeutenden Anstoss brachte erst der Bau der Strasse Bern-Lyss in den Jahren 1835 bis 1844, die die günstigen Höhenverhältnisse des Lyssbachtales ausnützte und deshalb die ehemalige, über den Frienisberg führende Nord-Süd Hauptverkehrsachse Bern-Aarberg-Biel mit ihren grossen Höhenunterschieden an Bedeutung bald schon übertraf. Nach der Juragewässerkorrektion fand die neue Strasse mit dem Bau einer hölzernen Brücke über die zum harmlosen Flüsschen gewordenen Aare im Jahre 1886 ihre Fortsetzung über Worben-, Studen nach Biel; damit besass das Dorf Lyss erstmals eine direkte Strassenverbindung mit der aufstrebenden Nachbarstadt Biel.
Vorbei waren die Zeiten des Fährbetriebes über die Aare, der jahrhundertelang den kürzesten Weg nach Biel erschloss, vorbei auch die Zeiten, da der Fuhrmann seinen Wagen über die sichere Brücke von Aarberg nach Biel führen musste. Im Dorfbild selbst zog die neue Bern-Biel-Strasse einschneidende Veränderungen nach sich, indem die bisherige «Hintere Gasse» (heutige Hauptstrasse und Bielstrasse) zur Hauptverkehrsader und damit auch zu einer neuen Siedlungsachse des Dorfes wurde.
Eine neue Periode des Strassenbaues brachte die Arbeitslosigkeit in der Zeit des Ersten Weltkrieges mit sich. Waren mit den bestehenden Strassenzügen Lausanne-Solothurn-Basel und Bern-Biel-Jura die Verbindungen mit den wirtschaftlichen Zentren des Landes gesichert, so wurde nun der Strassenbau in der näheren Umgebung an die Hand genommen. In Zusammenarbeit mit den umliegenden Gemeinden entstanden um die Jahrhundertwende die Strassen Lyss-Seedorf und Baggwil-Ruchwil, Lyss-Kappelen (1914/15) und Lyss-Scheunenberg-Limpachtal, die das Dorf Lyss, in Uebereinstimmung mit seiner geographischen Lage, zu einem regionalen Mittelpunkt des Strassenverkehrs werden liessen.
Von geringem Einfluss auf das Dorf Lyss war zweifellos der im Mittelalter rege Wasserverkehr im Seeland. Naturgemäss waren die drei durch Broye und Zihl miteinander verbundenen Jurarandseen die Hauptverkehrsträger, doch wies auch die Aare auf der Strecke Meienried-Lyss-Aarberg-Bern-Thun einen nicht unerheblichen Waren- und Personenverkehr auf, der mit grossen Weidlingen bewerkstelligt wurde. Der Wasserverkehr auf der Aare mag dem einen oder andern Bürger einen kargen Nebenverdienst gebracht haben, die wirtschaftliche Entfaltung des Dorfes jedoch wurde dadurch nicht beeinflusst, denn Lyss war eine Siedlung ohne Marktrecht und bedurfte keines Anlegeplatzes für den Verlad und Verkauf von Salz, Getreide, Wein und anderen Waren.
Entscheidende Bedeutung kam hingegen dem Eisenbahnbau zu, der in der Schweiz um die Mitte des letzten Jahrhunderts einsetzte. Englische Fachleute vertraten schon frühzeitig den Standpunkt, die Hauptachse des schweizerischen Ost-West-Eisenbahnverkehrs in der verkehrsgünstigen, von der Strasse seit Jahrhunderten benützten Aaretalung von Olten über Solothurn--Lyss-Murten und Yverdon an den Genfersee zu führen, doch wurden diese Vorschläge von den Absichten der Städte Bern und Freiburg durchkreuzt. Für das Dorf Lyss wurde die Eisenbahnfrage mit dem im Jahre 1861 gefassten Entschluss des bernischen Grossen Rates aktuell, den Bau einer Bahnlinie zwischen Biel und der bestehenden Strecke Olten- Bern der Bernischen Staatsbahn zu übertragen.
Während die Projektierung der Strecke Zollikofen-Suberg keine grösseren Schwierigkeiten bot, bestand vorerst noch keine Klarheit darüber, wie die damals noch nicht korrigierte Aare zu überqueren sei. Vom verkehrstechnischen Standpunkt aus drängte sich wohl die kürzeste Verbindung über Lyss-Busswil-Studen auf, doch stellte die Aare, die sich in dieser Gegend in einem Flussbett von 4000 Fuss Breite bewegte und ihre Richtung immer wieder änderte, die Fachleute vor fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Es verwundert Wenig, wenn unter diesen Umständen nicht weniger als fünf Varianten zur Führung der Strecke Suberg-Biel geprüft wurden. Nachdem aber im Nationalrat die Förderung der Juragewässerkorrektion gutgeheissen worden war, stimmte der Grosse Rat, von guten Hoffnungen erfüllt, im Frühjahr 1862 der Linienführung Suberg-Lyss-Busswil-Biel zu.
Am 28. Mai 1864 setzte sich der erste Eisenbahnzug von Bern aus Richtung Biel in Bewegung und damit begann für Lyss das Eisenbahnzeitalter, das für die weitere Entwicklung des Dorfes von schicksalshafter Bedeutung wurde. Zwölf Jahre nach der Eröffnung der Strecke Bern-Biel wurde Lyss durch den Bau der Bahnlinie Lyss-Murten-Payerne-Lausanne zum Eisenbahnknotenpunkt und ein Jahr später verkehrten auch die ersten Züge auf der Strecke Lyss-Solothurn.
Das neue Verkehrsmittel zog unverzüglich eine Umgestaltung des Postwesens nach sich, indem die bisher von der Pferdepost besorgte Beförderung der Postsachen nun von der Eisenbahn übernommen wurde. Wenige Tage nach der Einweihung der Bahnlinie Bern_Biel kam Lyss zu einer
selbständigen Postablage. Sie befand sich vorerst an der Bürenstrasse, später an der Aarbergstrasse und ab 1891 in der Nähe des Bahnhofes. Auf die bauliche Entfaltung des Dorfes wirkte der neue Bahnhof naturgemäss als starker Siedlungsanreiz für Geschäftsbauten, Gasthöfe und Wohnhäuser. Der Mittelpunkt des Dorfes, jahrhundertelang bei Kirche und Mühle gelegen, verlagerte sich bereits mit dem Ausbau der Strassen Bern- Biel und Solothurn-Lausanne in der Richtung des heutigen Hirschenplatzes und kam nun durch den Standort des Bahnhofes zu seiner endgültigen zentralen Lage innerhalb der Siedlung.
Die in den fünfziger Jahren gebaute Autostrasse Lyss-Biel, die Eröffnung des internationalen Autoreisezuges Calais--Lyss-Calais und die vor drei Jahren eingeführte Zentralisation der Postautokurse aus dem Gebiet des Frienisberges, des Bucheggberges und des Limpachtales im Bahnhof Lyss bilden abgesehen vom gegenwärtigen Ausbau der Bahnlinie Biel- Lyss-Bern auf durchgehenden Doppelspurbetrieb einen vorläufigen Abschluss in der Entwicklung des Lysser Verkehrswesens.
Lyss 1966