Wie Siselen vom Amt Nidau zum Amt Erlach kam

Fritz Wyttenbach Zivilstandsbeamter und gew. Lehrer, 2577 Siselen

Bis zum Untergang des Alten Bern (1798) gehörte Siselen zur Grafschaft resp. Landvogtei Nidau. Die Kirchenrechte standen dem Landvogt von Nidau zu. Merkwürdig ist, dass Finsterhennen, das von jeher zum Kirchspiel Siselen gehörte, nie mit dem Amt Nidau verbunden war. lnteressant ist ferner, dass für Siselen keine geläufige französische Ortsbezeichnung besteht, wie es bei den übrigen Ortschaften des heutigen Amtsbezirkes Erlach mit Ausnahme von Tschugg der Fall ist (vgl. S158). lm bernischen Regionenbuch von 1782/84 ist u.a. über das Oberamt Erlach zu lesen: «Die Kirchspihle des Amts sind 1.Erlach, 2.lns, 3.Vinelz, 4.Gampelen, denne von dem im Amt Nydau liegenden Kirchspihl Siselen gehört noch ein Dorf zum Amt Erlach... ln dem zum Kirchspihl Siselen gehörigen Dorf Finsterhennen gehört das Consistoriale dem Amt Nydau». Die Chorgerichtssachen von Finsterhennen wurden also folgerichtig in Siselen bzw. vor dem Landvogt in Nidau behandelt. Vom Oberamt Nidau steht im Regionenbuch: «Zu der Oberen Grafschaft werden gerechnet die Viertel 1.Siselen, 2. Epsach, 3. Walpersweil, 4. Hermringen, 5.Lattringen, 6.Bellmund.­» Der Viertel Siselen zählte 53 Häuser und wird wie folgt beschrieben:

«Grenzen. Dieser Viertel stosst gegen Mitternacht an den Viertel Epsach, gegen Morgen an den Viertel Walpersweil, gegen Mittag an das Amt Aarberg, Gricht Bargen, und gegen Abend an das Landgricht lns im Amt Erlach. Entfernung. Von der Haubtstadt ist dieser Viertel 6 Stund und vom Siz des Amtsmann 2 1/2 Stund entlegen.

Gemeind. Er enthaltet nur ein Theil des Kirchspihls Siselen und zwar die Dorfgmeind Siselen.

Consistoriale. Das Chorgericht zu Siselen stehet unter dem Herren Oberamtsmann zu Nydau, in dessen Abwesenheit praesidiert der Ammann von Siselen, der Pfarrherr ist actuarius, denn sind nebst dem Pfarrherren und Ammann annoch 3 Chorrichter von Siselen und drey Chorrichter von Finsterhennen, auch ein Chorweibel.

Collatur. Der Herr Oberamtsmann zu Nydau ist Collator der Pfrund und Einpraesentant des Pfarrherren.

Schul. Eine Schule ist für die Dorf Gemeind Siselen bestellt.

Waldung. Waldungen sind: Der Siselen Wald, so aus 2 abgesonderten Theilen besteht und der Gemeind verliehen ist, aber unter die Direction des Bauamtes gelegt worden.

Stille Wasser. Stille Wasser sind keine.

Fliessende Wasser. Fliessende Wasser sind folgende Bäche, die aus den Möseren von Quellen und Regengüssen herkommen:
 a) Der Treiten Canal, so sich in die Broye ergiesst.
 b) Der Lenggraben fliesst in den ersteren und macht die Grenze des Amts Nydau gegen Erlach. Brüggen und Stege. Brüggen und Stege sind angelegt:
a) Über den Moos Canal geht der sogenannt hohe Steg so Fussgängeren dienet.
b) Über den Lenggraben eine steinerne Brugg.
Fahr. Fahr sind keine.»

Abraham Pagan nennt 1760 in seiner Beschreibung der Landvogtei Nidau Ligerz und Twann als die volksreichsten Dörfer; im «Baurenland» aber seien «Siselen, Walperzwil, Gerlafingen [modern: Gerolfingen], Epsach. Bellmund, lpsach, Brügg und Safnern die zahlreichsten an Einwohnern››. Weil Siselen an der Peripherie des Amtes Nidau lag, bildete die Gemeindegrenze z.T. zugleich die Amtsgrenze. Sie wurde 1775/79 bereinigt und mit neuen Steinen gekennzeichnet. lm Verbal von 1779 ist zu lesen: «Von diesem hohen Steg, sonst auch die erhebte Brügg genannt [nach dem Siselen-Zehntplan von 1753 südöstlich des Holenwaldes; führte über den breiten Graben, der Walperswil-und Bargenmoos trennte], geht die Amts March vierzig Minuten Wegs gegen Abend über das von den Dörfern Siselen, Bargen und Kalnach gemeinsamlich weidende Grosse Moos bis auf den aussenhar dem Dorf Siselen stehenden Grossen Moosstein, der die Ämter Aarberg, Nidau und Erlach ausscheidet [beim Länggraben]. Hierüber haben meine Hochgeachte Herren Teütsch Sekelmeister und Venner, auf den von beyden HerrenAmtlüten geschehenen Vorschlag zu verordnen gut befunden: dass zwar die Jurisdictions March durch eine gerade Linie für einmahl gesönderet seye, wenn aber dieses Moos in Zukunft vertheilt wurde, dennzumahl die Theile, die denen von Kallnach und Bargen zufallen würden, in das Amt Aarberg, und der Theil deren von Siselen aber in das Amt Nidau gehören solle.-

Von dem sonnenhalb aussen an dem Dorf Siselen stehenden, die drey Ämter Aarberg, Nidau und Erlach ausscheidenden Grossen Moosstein gehet die Marche schreg gegen Abend und Mitternacht bis an den sogenannten Grauen Stein, der sonnenhalb der Landstrasse hieher dem Dorfe Finsterhennen neben dem Zaun ligt, an welchem der Buchstabe E für Erlach und ND für Nidau eingehauen sind. Von da gegen Morgen 480 Schuweit der Landstrasse nach bis zu der Steinernen Brügg, alwo linker Hand im Eken ein Neüer gehauener Stein steht, der mit den vorgemelten Buchstaben bezeichnet ist. Von diesem Stein schwenkt sich die Marche gegen Mitternacht, dem Leng Graben in allen seinen Krümmungen nach, bey 4832 Schu weit bis an den Winkel dieses Grabens, welcher das Finsterhennen Moos von den Gemeind Theillen von Siselen scheidet, alwo ein Neüer gehauener, mit obigen Buchstaben bezeichneter Stein steht.›› Eine gewisse Unsicherheit besteht betr. des «Grauen Steins››, der auch im Beitrag von K. L. Schmalz berührt wird (S. 32). Die «Steinerne Brügg», die über den Länggraben führte (sie ist bei der letzten Strassenrenovation abgetragen worden), war als «Schossbrücke›› bekannt, möglicherweise nach dem Namen eines früheren dortigen Landstücks. Bis vor rund 150 Jahren führte die Strasse nach Aarberg über Walperswil. Die Siseler waren unterhaltspflichtig und durften nach einer «bekanntnis» von 1515 Weggeld einziehen. Mit der Eröffnung der neu erstellten Staatsstrasse Siselen-Aarberg fiel dieses dahin. Die Siseler wollten später wieder Weggeld einziehen, verloren aber einen Prozess mit dem Kronenwirt von Aarberg (um 1836).

Werfen wir kurz einen Blick zurück in ältere Zeiten. Keltische und gallorömische Besiedlung des Gemeindegebietes ist wahrscheinlich. Siselen wird erstmals für 1159/77 unter dem Namen «Sisilli» erwähnt. Die Abtei St.Johannsen war in Siselen und Finsterhennen begütert. Die Kirche war dem hl. Papst Silvester (315-335) geweiht und gehörte dem Kapitel Lausanne, später den Grafen von Neuenburg-Nidau. Die frühe Geschichte der Siseler Kirchenrechte gibt noch einige Rätsel auf. Die jetzt stehende Kirche stammt wohl aus dem beginnenden 16. Jahrhundert. Der Turm, dem ein höheres Alter zukommt, hat Rundbogenfenster. Die Fenster der Kirche sind spitzbogig; Masswerk erhielten sie erst bei der letzten Renovation vor rund 20 Jahren. Siselen kam mit Nidau bereits 1388 an Bern. Das Tellbuch der Stadt Bern von 1395 verzeichnet «in der Kilcheri Sysellon» 17 Ausburger. Der Getreidezehnten von Siselen war ein Teil des Mannlehens der Familie von Erlach; seit 1742 gehörten 1/3 dem Schloss Erlach, 2/3 der Pfrund. Siselen, lns und Vinelz zählten zu den gesuchtesten Pfarrpfründen im Seeland. Mehrere Burgerfamilien der Stadt Bern besassen und handelten in Siselen Bodenzinse. Gemeindereglemente hat es schon früher gegeben: das von Notar Abraham Pagan, Landschreiber zu Nidau, geschriebene Gemeindereglement für Siselen aus dem Jahre 1736 betraf namentlich Allmend, Holznutzung und Herbstweide. Die Allmendteile gehörten zu den Häusern. Dieses Reglement musste alle Jahre anlässlich der Neujahrs-Rechnung «offenlich vor- und abgelesen werden, damit ein jeder Gemeinds Genoss sich darnach richten und nicht mit der Unwissenheit entschuldigen könne». 1790 wurde dieses Reglement von der Gemeinde mit Gutheissen des Landvogts Alexander Albrecht von Wattenwyl geändert.


Während der Helvetischen Republik 1798-1803 gehörte Siselen zum Distrikt Seeland, mit dem Hauptort Erlach. Das «Register über die Bürger, so den Eyd geleistet» vom 17. August 1798 erwähnt aus der «Munizipalität Sieselen» 100 Mann. Das Register ist in Kolonnen nach Nummer, Geschlecht, Taufname und Beruf geordnet. Vertreten sind die alten Siseler-Geschlechter: Graden (5mal), Meyer (4), Schwab (62), Warmbrodt (15), Wälti (3), Winkelmann (10), dazu Johann lth, Professor der Philosophie in Bern, derzeitiger Pfarrer in Siselen. Als Beruf steht 83mal «Landmann». Wenn die verschiedenen Familiennamen seither zahlenmässig Änderungen erfuhren, so hat sich der Name «Schwab» in Siselen prozentual halten können.


Die Helvetische Republik hatte nur bis 1803 Bestand. In der Folge wurde die willkürliche Einteilung der Distrikte fallengelassen. Man kehrte mit einigen Ausnahmen – darunter unser Siselen - zu den früheren Verhältnissen zurück. Der Grosse Rat beriet am 3. Und 10. Juni 1803 über die Amtsbezirkseinteilung und die «Einführung der untergeordneten Behörden des Kantons Bern››; im ganzen gab es 22 Amtsbezirke, deren Namen «gedruckt und an gewohnten Orten angeschlagen werden» sollten. Der handschriftlich protokollierte Grossratsbeschluss führt den Amtsbezirk Erlach als fünften auf: «Er besteht aus den Kirchgemeinden Siselen, Ins, Gampelen, Erlach und Vinelz. Hauptort: Erlach». Damit wird also Siselen dem Amt Erlach zugeteilt. So blieb es während der Mediationszeit 1803-1813 wie auch während der Restaurationszeit 1814-1831.

Die Zugehörigkeit zum Amt Erlach muss den Siselern aus verschiedenen Gründen nicht gepasst haben. Dies wird in den Akten von Ende Januar/Anfang Februar 1814 deutlich.

Am 24. Januar richten die Gemeinden Siselen, Finsterhennen, Lüscherz, Vinelz, Mullen, Tschugg, Gals, Gampelen sowie die Kirchgemeinde Ins über Oberamtmann Daxelhofer eine gemeinsame Glückwunschadresse an die neue Regierung und begrüssen die Wiedereinführung der «ehevorigen Landesverfassung››; die Stadt Erlach tut ein gleiches. Ob die Siseler noch eine eigene Adresse abfassten? lm Manual des Kleinen Rates vom 14. Februar 1814 heisst es: «Auf gewohnten Fuss wurden die eingelangten Glückwünschungs-Adressen folgender Gemeinden beantwortet als von Muri, Siselen, Aarwangen, Oberwyl und das Amtsgericht Signau». Laut dem im Gemeindearchiv verwahrten «Mehrenbuch›› wurde im gleichen Zeitraum, am 25. Januar, «von versamleter Gemeind einhälig erkennt: weil alle unsere alten Rechte im Amt Nidau sich befinden und wir in näherer

Verbindung mit diesem als mit dem Oberamt Erlach stehen, eine Bittschrift an unsere gnädige Herren und Obere ergehen zu lassen, dass sie uns wieder mit dem Amt Nidau vereinigen und unsere schon darin besessenen Rechte und Freyheiten mochten zukommen lassen, auch wurden zugleich dafür ausgeschossen die Ehrsammen Jakob Schwab, alt Kirchmeyer, und Jakob Schwab, beyde Dorfmeister››. Mit den «Rechten und Freiheiten» sind ohne Zweifel vor allem Moos- und Waldnutzungen gemeint; zudem blieb Siselen von 1803 bis 1828 dem Fertigungsgericht lns zugeteilt. Laut <<Mehrenbuch›› wehrt sich die Gemeinde unter dem 23. März 1814 gegen die neue Auflage, sich mit den anderen Ortschaften des Amtes Erlach am «Kehr» der Wache bei der Zihlbrück zu beteiligen. Die beschlossene Bittschrift, die uns einen genaueren Einblick in die Beweggründe der Dorfschaft geben würde, scheint sich nicht erhalten zu haben. lm Manual des Kleinen Rates vom 18. Februar 1814 ist zu lesen: «Zedel an die Organisations Commission. Ihr zur Untersuchung und Rapport zusenden. Die Bittschrift der Gemeinde Siselen abzwekend auf ihre Wiedervereinigung mit dem Amt Nidau››. Mit welcher Begründung dieses Gesuch abgewiesen wurde, habe ich nicht erfahren können. Die nötige Grenzbereinigung durch die Zuteilung der Gemeinde Siselen zum Amt Erlach geschah sonderbarerweise erst mehr als fünfzig Jahre später. lm Verbal vom 6. November 1858 ist über diesen «Akt» zu lesen:

«Als im Jahr 1803 nach Auflösung der helvetischen Republik der Kanton Bern wieder eine eigene Regierungsform erhielt, wurde derselbe durch das Dekret vom 10ten Juni 1803 in Amtsbezirke neu eingeteilt und in Abweichung der vor 1798 bestandenen Amtseintheilung die früher zum Amtsbezirk Nidau gehörende Gemeinde Siselen dem Amtsbezirke Erlach einverleibt. Infolge dieser Veränderung der beiden Amtsbezirke Erlach und Nidau und weil die Gemeinde Siselen an den Amtsbezirk Aarberg grenzt, wurde eine neue Beschreibung und Bereinigung der Amtsmarchlinien zwischen Erlach einerseits und Aarberg und Nidau andrerseits nothwendig und infolge Auftrags des Regierungsrathes vom 16ten Juni 1857 heute vorgenommen durch:

1. Herrn Regierungsstatthalter Nikles von Aarberg;
2. Herrn Regierungsstatthalter Hartmann von Erlach, begleitet von seinem Sekretär J. Zumbrunn;
3. Herrn Amtsvenıveser Perrot von Nidau, begleitet von seinem Aktuar A. Wirth, Notar; den Ausgeschossenen der Gemeinden:
4. Bargen: Hr. Johann Känel, Gemeindepräsident, Hr. Samuel Känel, Grossraths, Vizegemeindspräsident und Bendicht Schleiffer, Moosaufseher;
5. Bühl: Hr. Peter Krebs, Gemeinderath;
6. Siselen: Hr. alt Unterstatthalter Jakob Schwab und Hr. Unterweibel und Vizegemeindspräsident Jakob Schwab;
7. Walperswyl: die Herren Friedrich Güder und Jakob Marolt, Mitglieder des Einwohnergemeinderathes;
8. Epsach: Hr. Bendicht Möri, Gemeindspräsident
9. Hagnek: Hr. Jakob Scheurer, Gemeindspräsident;
10. Lüscherz: Hr. Johann Rudolf Fischer, alt Gemeindsprâsident.

Bei der heutigen Verhandlung sind beteiligt, aber nicht vertreten die Gemeinde Finsterhennen, Treiten und Müntschemier.›› Bei der Bereinigung dieser Amtsmarche wurde auch den Wünschen der Gemeinden Hagneck und Lüscherz nach einer veränderten Grenzlinie Rechnung getragen - die allerdings nur bis zum Bau des Hagneckkanals 1873/78 Bestand haben sollte.1 Diese genaue Beschreibung der Grenzlinie stützt sich auf das erwähnte Marchverbal von 1779 und beginnt mit dem letzten Stein gegen Murten «bey der eichenen Säul» im Grossen Moos, «an dem sogenannten Steinweg, vor Müntschemier hinaus», seit 1835 zugleich Kantonsgrenze Bern/Freiburg. Der Marchstein beim 1779 genannten hohen Steg oder der erhebten Brücke stand auf der Ostseite der neuen Strasse. In der regierungsrätlichen Genehmigung vom 20. Juli 1859 werden zwei Bestimmungen festgehalten:

«1. Dass die ganze Auffüllung des Seegrundes, gleich wie bisher der See, zu dem Amtsbezirke Nidau gehören solle? daher die Amtsmarch sich dem früheren Seeport nach hinauf ziehen soll, und
2. dass diese Marchlinie durch Steine bezeichnet und das Verbal in diesem Sinne ergänzt werde.»

1 VgI. Staatsarchiv, undatierter Plan AA IV 1612 und Marchbeschreibungen Bern, Kanton, Nr. 47 von1876-2 Vgl. den Beitrag von Dr. H. Dubler, Abschnitt «Aus ältesten Zeiten».Quellen und Literatur (vgl. auch den Anhang dieses Buches) Staatsarchiv Bern: Regionenbuch; Marchbeschreibungen Bern, Kanton, Nr. 43, 45, 46 (vgl. auch Fach Nidau 1779 Juli 2/August 17 betr. See-Grauer Stein); Zehntplan 1753 (AA IV Erlach 12);Gemeindereglement Siselen 1736/90 (B XIII 660); Register der Bürger... 1798 (B XIII 436); Gross-und Kleinratsprotokolle. - Gemeindearchiv: Mehrenbuch 1811ff. - P.Aeschbacher, Stadt und Landvogtei Nidau, Biel 1930.

 

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