Dorf an der Strasse

Es darf angenommen werden, dass nach dem Ende der Römerherrschaft der ehemals lebhafte, blühende Verkehr auf den Strassen sichtbar abflaute. Unter den Alemannen wurde unser Land ein Gebiet mit Viehzucht und Ackerbau, genügend für die Selbstversorgung. Kleine Dörfer mit strohgedeckten Holzhütten und einzelne grössere Höfe belebten das Bild eines grünen Seelandes. Die Städte lagen in Ruinen, Unkraut, Gestrüpp und vereinzelte Bäume wucherten um die Mauerreste, engten aber auch von links und rechts die grossen Durchgangsstrassen ein, denn diese entsprachen keinem Bedürfnis mehr. Was da über die Wege sich bewegte, war der wohl eher bescheidene Lokalverkehr, waren die wandernden Pilger, welche über den Grossen St. Bernhard die heilige Stadt (Rom) erreichten. Das im 9. Jahrhundert erbaute Hospiz legte auf dem Anmarschweg der frommen Leute Zweigspitäler an, so in Freiburg und Murten, was uns zur Annahme berechtigt, dass Pilger aus Norden auch durch unser Dorf Richtung St. Bernhard wanderten oder aus Rom auf der Rückwanderung hier durchkamen. Der grosse Durchgangsverkehr aber ging zu jener Zeit entweder im Osten unseres Landes über die Bündnerpässe oder, wie bereits erwähnt, im Westen über den Grossen St. Bernhard. Dazwischen lag das Seeland eher in einem toten Winkel.

Das änderte mit der Zeit der Städtegründungen ungefähr nach 1200. Ausser Bern und Freiburg enstanden in unserer Gegend Erlach, Biel, Büren a.A., Aarberg, Nidau, Neuenstadt.
Neben den ins Auge springenden militärischen Zwecken werden sicher auch wirtschaftliche Überlegungen massgebend gewesen sein. Beides bedingte gute Zugangs- und Verbindungswege.

Vorüber war die Zeit, da mehr oder weniger zufällig ausgetretene Fuss- und Reitwege dem Verkehr zu genügen vermochten. Die nötigen Strassen zu erstellen überliess die Obrigkeit in aller Höflichkeit den Gemeinden, durch deren Gebiet eine Strasse führte, entsprechend der römischen Rechtsregel, dass derjenige zum Bau der Wege beizutragen hatte, der sie gewöhnlich benützte, nämlich der Anstösser.

Wie den altern Dorfbewohnern noch durchaus geläufig ist, wurde schon dazumal allüberall an der vorgesehenen Strecke das Gemeindewerk aufgeboten, das Trassee auszuhauen. Mit Säge, Beil, Haue und Schaufel bewaffnet wurde mit wenig Sachkenntnis und noch viel weniger Eifer dem Befehl des Landvogtes entsprochen. Mit Steinkrätten las man auf den nächsten Äckern Steine zusammen, hieb Tannkries ab, die ärgsten Löcher auszuebnen, kurz, die Landstrasse sah in jener Frühzeit etwa so aus wie bei uns ein Feldweg vor der Güterzusammenlegung. Kein Wunder, dass man sich in Bern Gedanken machte, wie man die lässigen Fronarbeiter zu etwas mehr Fleiss aneifern könnte. So wurde eines Tages angeordnet, dass die auf der Strasse arbeitenden Dörfler mit Wein und «Mütschen», also mit Wein und Brot, zu verpflegen seien, was Aufgabe des nächstgelegenen Klosters war. Daneben konnte so ein Herr Abt selbst mit der Durchführung von Strassenbauarbeiten betraut werden. So erhielt der Abt von Frienisberg ein- mal aus Bern den Auftrag, «eine flu, so in der Strasse ligt», wegzuschaffen. Aber es dauerte acht Jahre, bis der geistliche Herr in Trab geriet

und mit den verpflichteten Anwohnern den Felsklotz - wohl einen erratischen Block - wegschaffte.

«Um die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts trat die bedeutsame Wendung ein. Bern und sein Gebiet wurden Durchgangsland, seine Strassen länderverbindende Verkehrswege und Handelsstrassen zwischen den grossen Handels-, Gewerbe- und Industriezentren Europas››, lesen wir bei Baumann. Der Wegbau wurde so wichtig, dass selbst die Tagsatzung sich damit befasste. Sie forderte die einzelnen Orte auf zum bessern Unterhalt und zum Kampf gegen das Strassenräubertum. Die Landvögte wurden angehalten, Äste und Stauden aus dem Strassenprofil weghauen zu lassen, so dass jedermann Tag und Nacht sicher passieren könne. Grad viel scheinen aber solche Aufrufe nicht genützt zu haben, denn noch 1583 wurden auf der Tagsatzung zu Baden Klagen vorgebracht über die schlechten Wegverhältnisse. 

Als Transportmittel wurden vom 14. Bis 16. Jahrhundert in den Zolltarifen Saumross, Karren und Wagen unterschieden, Sowohl der zweiräderige Karren als auch der vierräderige Frachtwagen waren kleine, starkgebaute, dem üblen Strassenzustand angepasste Fuhrwerke, wobei der Frachtwagen mit etwa 50 Pfundzentnern beladen werden konnte. Da der Zoll für eine Karrenlast halb so viel betrug wie für eine Wagenlast, darf geschlossen werden, dass man auch nur die Hälfte aufladen konnte.

Wann Reisefuhrwerke für den Personentransport aufkamen, lässt sich nicht so genau sagen. Jedenfalls mussten die Strassen entsprechend ausgebaut sein, wenn das Reisen nicht zur Qual werden sollte, ganz abgesehen von der Gefahr, das Fuhrwerk auf der löcherigen Strasse umstürzen zu sehen oder am abgelegensten Ort einen Achsbruch zu erleben. Im Reisebuch des Basler Kaufmanns Andreas Ryff vom Jahre 1600 lesen wir von einem derartigen Unfall:

«Alls wir nun im namen Gottes also furtfuoren, begabe es sich, uff ½ meil wegs hieher Bäterlingen (Payerne), alls wir zwen jungen vornnen uff der bennen des rollwagens gesessen, fuohr der wagen uff ein hochen stein, so in der strass lage; alls nun das raad wider darab bletste (plumpste), fuole ich überauss (stürzte ich) under das raad, dass mir das raad über den rechten schenkel guong.»

Ryff benützte sonst auf seinen Reisen meistens das Reitpferd, gelegentlich auch das Schiff. Er besuchte in den Jahren 1571-1597 Jahr für Jahr den Solothurner Fastnachtsmarkt, ritt von da direkt an den Luzerner Alten Markt, mehrmals auch nach Bern und über Burgdorf nach Huttwil, wo er mit Berner und Freiburger Kaufleuten zusammentraf. Von 1572-1575 soll er sechsmal in Freiburg gewesen sein.

Wenn wir von den Reisen dieses einzelnen Kaufmannes auf den Umfang des ganzen damaligen Handelsverkehrs schliessen, dürfen wir mit Staunen feststellen, es habe zu Beginn des 17.Jahrhunderts auf den grossen Durchgangsstrassen ganz schön geräbelt und gerattert, namentlich auch auf der seit Jahrhunderten immer mehr begangenen Strecke Solothurn-Büren- Büetigen-Lyss-Murten-Lausanne-Genf. Johannes Stumpf schreibt 1548 über dieses tätige Leben auf den Landstrassen und in den verschiedenen Marktorten: «Jetzt liegend alle Stadt, Flecken, Strassen und Tavernen (Wirtshäuser) voll Kaufleut, voll frömds Wyns, voll ausländisch Geschläcks, gewürz und frömder War. Es ist jetzt in Helvetien nit mehr wohl geläbt, wo man nicht seltsame welsche Trachten und Essen fürträgt.»

Was im ganzen folgenden Jahrhundert an bernischen Stassen gebaut und verbessert wurde, das nahm seinen Anfang mit dem «Zeddel an die Herren Inspektoren über die Strassen...» vom 22.August 1668. Dessen wichtigster Abschnitt lautet wie folgt: «Die Strassen, die über die Felder gehen, sollen ausgehoben, mit Steinen gefüllt und trocken gelegt werden. Die Steine dazu «sollen von den Besitzern der Äcker von den Äckern abgelesen und an die Strasse gebracht werden. Andere aber sollen die Steine an bestimmte Orte zusammentragen und dann sollen die Steine an den nötigen Orten zum Bau der Strassen verwendet werden.»

Dreissig Jahre später leitete ein Ratsbeschluss die Verbesserung der Strassen im Waadtland ein, das seit 1536 unter bernischer Herrschaft stand, wobei vor allem die Verbindung mit Bern und die alte Transithandelsstrasse Broyetal-Murten-Aarberg-Büren besondere Beachtung fanden.

Im 18. Jahrhundert treffen wir die Zollkammer als eigentliche Strassenbaubehörde in Funktion. Ihr wurde der Auftrag zuteil, sich mit Solothurn in Verbindung zu setzen, um die dortigen Strasseninspektoren zur bessern Aufsicht aufzufordern, wobei man vor allem die schon mehrmals genannte Durchgangsstrasse Solothurn-Büren-Murten im Auge hatte, welche der bernischen Regierung ganz bedeutende Zolleinnahmen sicherte.

Die Wäspere gehörig geguselt punkto Strassenbau hat im Frühling 1724 der König von Sardinien, als er dem Rat in Bern kundtat, dass im Juli die Prinzessin von Hessen-Rheinfels, die Braut des sardinischen Erbprinzen, durch bernisches Gebiet reisen werde. Jedermann weiss aus den Zeitungen oder vom Fernsehen her, welch umfangreiche Vorkehren heute zum Schutz und zu Ehren hochgestellter Gäste inszeniert werden müssen. Polizei wird aufgeboten, bewaffnet bis an die Zähne, eine Rekrutenschule oder gerade im WK befindliche Truppe übernimmt weitere Schutzfunktionen und in Bern atmet man erleichert auf, wenn der hohe Gast unser Land unbehelligt wieder verlassen hat. Mindestens so aufgeregt werden die Gnädigen Herren auch die Kunde von der durchreisenden Prinzessin entgegengenommen haben, nur nicht aus dem gleichen Grunde. Nicht die persönliche Sicherheit der hohen Dame machte den Herren Bauchgrimmen, sondern der miserable Zustand der Strassen. Handtli wurde überall das Gemeindewerk aufgeboten, das Strassenprofil auszuhauen, störende Sträucher wegzuschneiden, grosse Steine wegzuwälzen und die grössten Löcher auszuebnen. Für Reiter mochte die Bahn noch bald einmal genügen, aber es musste zudem für das Durchkommen der Frachtwagen mit dem königlichen Trossel gesorgt werden. Die Landvögte an der ganzen Strecke von Lenzburg über Aarau, Bipp bis ins Waadtland hatten üble Zeiten, die Fronarbeiter anzueifern, ihnen Mütschen (Brot) austeilen zu lassen und hochherrschaftlichen Wein, damit sicher alles ins Greis komme zur rechten Zeit.

Es gibt keinen Bericht, wie die Fahrt mit der Prinzessin und ihrem Gefolge etwa durch die Lande kam. Wir dürfen uns also selber ein Bild zu machen versuchen, wobei wir die Farben durchaus nicht sparen müssen. Allüberall standen die Menschen neugierig am Strassenrand, die liebliche Braut, den prachtvollen Zug mit dem herrscheligen Gefolge hoch zu Ross, den waffenblinkenden Leibwächtern und den knarrenden Frachtwagen anzugucken. Bei der Taverne, dem heutigen Bären, wurde gerade so lange Halt gemacht, als das Vorspannen weiterer Zugpferde und ein kurzer Trunk für die durstigen Angehörigen der Zügelfuhr erforderlich waren.

Je höhere Ansprüche an den Strassenzustand gestellt wurden, desto kräftiger musste sich die öffentliche Hand am Bau beteiligen, was umso leichter zu vertreten war, da gut ausgebaute Strassen den Verkehr an sich zogen und damit entsprechende Zolleinnahmen sicherten. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wandte die Zollkammer ihre ganz besondere Aufmerksamkeit auch wieder der alten Transitstrasse über Aarberg-Murten zu. Sie war die wichtigste der grossen Strassen, die, durch das ganze Land führend, der bernischen Regierung bedeutende Zolleinnahmen sicherte. Aus einem Bericht der Zollkammer vom Frühling 1753 über die Arbeit an dieser Strasse lässt sich folgendes ableiten: Die Gümmenenstrasse war beendigt, hingegen war an der Strasse in der Herrschaft Murten noch viel zu tun, besonders von der Grenze des Amtes Aarberg über Fräschels, Kerzers bis zum Leuenberg und jenseits der Stadt vom Tor bis nach Greng. Der Kanton Freiburg war noch für zwei Jahre zu entsprechenden Beiträgen anzuhalten. An der Strasse im Amt Wifflisburg (Avenches) blieb noch ein ziemliches Stück ausserhalb Faoug zu bauen. «Auch die Lysserstrasse soll bis Ende des Jahres bis zum Tor von Aarberg fertig erstellt werden. Sie wurde von der March bei Büetigen durch den Lysswald und durch das Dorf sodann über das Lyssfeld, über die Leumeren, geführt. Ihre Fortsetzung wird über Kallnach bis an die Grenze des Gebietes von Murten gehen.»

Damit verfügte das ganze Seeland über eine nach neuesten Erkenntnissen gebaute leistungsfähige Durchgangsstrasse, der alten Route folgend, welche schon die römischen Legionen gesehen hatte. Sie brauchte jetzt nur noch regelmässig unterhalten und den neuen Bedürfnissen ensprechend ausgebaut zu werden, was auf der langgestreckten Kiesterrasse von Büetigen bis Lyss weiter keine grossen Anstrengungen erforderte. Noch heute entdeckt das kundige Auge längs der Strasse im Wald die zahlreichen Löcher, aus welchem man das nötige Kies gewann.