Vom Leben im Dorf

Das Bauernhaus Wälti oben am Bärenstutz In der Nacht auf den 13. Mai 1944 verbrannte das am Scheidewege Diessbach/Dotzigen oben am Bärenstutz auf der Nordseite der Strasse stehende Haus des Ernst Wälti, Landwirt. Damit verschwand das älteste Gebäude aus dem Dorfbild. Mit den beiden mächtigen Nussbäumen zusammen hatte des reizende alte Haus seit jeher die Augen der Maler, Zeichner und Photographen auf sich gezogen. Mancher freute sich still am letzten Restlein dörflicher Romantik, stillte am plätschernden Brunnen den Durst, staunte zum verträumten Giebelchen hinauf oder bewunderte auf der Südseite das reichbeschnitzte Holzwerk.

Die Lage an der grossen Durchgangsstrasse West-Ost an erhöhter Stelle stützt unsere Vermutung, dass an dieser Stelle schon das steinerne Haus des Ritters Jakob von Büetigen gestanden, oder dass der Meier des Klosters Frienisberg hier seinen Sitz gehabt haben könnte. Genaues wissen wir nicht. Das Haus wurde seinerzeit nur in Hälften verkauft. Fast ein Jahrhundert lang gelang es nie einem Besitzer, beide Hälften in seiner Hand zu vereinigen, die Südseite und die Nordseite. Der älteste bekannte «Kauff-Brieff››, jener von 1795, beschreibt die Liegenschaft und die Gegebenheiten des Kaufes wie folgt:

«Zu wissen sey hiermit, dass der bescheidene Hanss Arn, genannt Friedrichs, mit zu thun sei- nes älltern Sohns. . .und auf gutheissen der E = den gemeind von Büetigen verkaufft habe seinem Sohn Rudolf Arn, und zwar um seiner minderjärigkeit willen mit richterl. vogts handen, des gewessenen grichtssässen hans am, und seinen des Sohnes erben, namlich: - ein sein, des verkäuffere, von seinen elltern ererbtes, halbes haus, wovon Bendicht Arn, Friedrichs, die andere helfte Sonnen halb besitzt, der first nach geteillt, wo die beiden näbenschilten jeder auch halb zu erhalten habe, mit zugehörigem anteill Kraut- und Baumgärtli, mit wol 1/8 jucharten gras. Sonnen aufgangs habe Bendicht Fink, mittags der besitzer des andern teills Bendicht Arn, niedergangs an den gemein herd und mitternachts an die gemein gassen stossen, mit Zu- und Vonfarten, das gebäud mit Dach und Gemach, thüren, thoren, fenstern und allen erdmaur-, nagel- und nutfesten Sachen. Das erdreich dann mit zäunen und bäumen und überhaupt mit rechten und beschwerden, wie jederzeit genutzt und besessen, ausser dem gewonten Zehenden pflichtigen Bodenzins laut urbaren, indessen seye daran bis dahin bz 5 (Batzen) entrichtet worden. - item ausser dem

Pflugdkorn
Fueterhaber
Brüggsommer
Hoftauwen
Rathaus-
Ammann-
Bannwart-
Schuel- und
Weihel-Lohn
und anderen gemeinen herrschaftsrechten, Steuer, Brauch, Täll und Anlagen, auch ausser hiernach überbundenen Schuld-Summe, sonst ledig und eigen.

Die Tochter Marie Arn soll, solange ledigen Standes bleiben werde, unvertreiblichen, unentgeltlichen unterschlauf, schatten und schärmen in der verkauften Behausung erhalten.
Kaufsumme: 500 pfund pfennige Bernerwährung. Statt Zins soll der Käufer seinen Vater lebenslänglich gebürend und ehrlich erhalten, bekleiden und versorgen.

Besiegler: Oberst und Landvogt Franz von Willading auf Frienisberg.
Aktum: 7 Merzen 1795.»

Das Haus war also der First nach geteilt. Während die sonnseitige Hälfte ein Holzhaus darstellte, bestand die mitternachtsseitige fast ganz aus Stein. Bevor man von der Strasse her die Haustüre der südlichen Wohnung erreichte, musste man vor den vier Fenstern der Stube und des Nebenstüblis vorbei. Dabei fiel jedem aufmerksamen Beobachter sofort die lange, durchgehende Fensterbank aus Eichenholz auf. Unter der eigentlichen Bankleiste folgten sich sieben Reihen einzelner Verzierungen, die untere immer etwas vertieft gegenüber der obern, so dass im Schnitt eine Treppenform entstand. Solche Schnitzornamente weisen nach dem Urteil von Fachleuten ins Ende des 17. Jahrhunderts. Über den Stuben des Erdgeschosses betrat man eine Laube, welche aber nicht mehr gebraucht wurde. Sie war eingewandet mit dicken, teilweise bis 50 cm breiten Eichenbrettern. Sicher ist viel Wasser die Aare hinuntergeflossen, seit unser Wald noch solche Baumriesen aufwies, unter den zur Sommerszeit das Vieh weidete und im Herbst die Schweine das Acherum frassen. - Alle Rafen bestanden noch aus Rundholz, stammten also mit aller Wahrscheinlichkeit aus der Zeit der Strohdächer.

Den zentralen Raum bildete die vordere Küche, in welcher eine riesige Chemihutte tief herunter hing und einen wohlbesetzten Wurst- und Schinkenhimmel umspannte. Den Abschluss des Wohnhauses gegen die Scheune hin hatte man seinerzeit aus einem Rutenflechtwerk konstruiert, welches, mit Lehm verstrichen, sicher ein billiges Bauelement darstellte. Solche Geflechte wendete man vorzeiten auch für die Aussenwände an, was dann aber einen grossen Vorschermen bedingte, damit weder Regen noch Schnee den Lätt aus den gekorbeten Ruten wegschwemmen konnte.

Von ganz anderer Bauart war die nördliche Haushälfte. Mit ihren teilweise über 70cm dicken Mauern schloss sie sich gegen die Sonnseite deutlich ab. Klotzig und trutzig stand, fast wie ein Fremdkörper, das hohe, schmale Steinhaus im Holzgebäude drin. Bis in die später durchgehende Tenne hinein ragte sein Leib, bloss in vier Meter Höhe ein schmales Fensterchen aufweisend. Dieses merkwürdige Bauwerk hatte natürlich die absonderlichsten Vermutungen zur Folge und trug dem Wältihaus in früherer Zeit den Namen «Römerhaus›› ein.

Nachdem das ganze Holzwerk, das südseitige Holzhaus, die hintere Budigg, Dachstuhl und Scheuerwerk abgebrannt waren, ragte aus dem Brandschutt schmal und hoch das steinerne Gebäude empor. Die Südfront wies im 1. Stock eine gotische Fenstergruppe auf, aus heute nicht mehr zu erklärenden Gründen zugemauert, die Westseite wies im Parterre und 1.Stock die zuletzt vorhandenen, sicher viel jüngern Fensterlöcher auf, während die Nordseite oben und unten ungefähr in der Mitte je eine Tür zeigte, die untere mit Rundbogen. Spuren vereinzelter zugemauerter Öffnungen ehemaliger Fenster liessen sich in der östlichen Hälfte mehrere feststellen, doch liessen die damaligen Umstände keine genauere Untersuchung der Ruine zu. Es war das letzte Kriegsjahr, jedermann mit häufigem Militärdienst belastet und sehr wenig an heimatkundlichen Fragen interessiert. Das gefährliche Mauerwerk wurde deshalb sehr rasch abgebrochen und ins Grien, wahrscheinlich in irgend eine Giesse geführt. Der Brandplatz wurde verkauft und der nordseits anstossende Landbesitzer Arn-Studer Alfred, Landwirt, erstellte dort eine Scheune.

Nachzutragen bleibt noch, dass sowohl im Erdgeschoss als auch im Obergeschoss mehrere bemalte Truhen und Schränke ein Raub der Flammen wurden, wie auch -ein gedruckter «lufthangender Brief››. Einzig ein Trögli konnte den Flammen entrissen werden. Ein kundiger Maler hat es in der Folge restauriert und damit eine der wenigen Erinnerungen an das Wältihaus der Nachwelt erhalten. Auch ein im 1.Stock des Steinhauses vorhandener Trittofen, teilweise mit bemalten Kacheln, wurde nicht ganz zerstört, so dass es möglich war, den grössten Teil der Kacheln vor dem völligen Einsturz des Hauses zu bergen. Die Bilder scheinen nicht alle vom selben Maler zu stammen und sind von unterschiedlichem künstlerischem Wert. Die Motive stellen Landschaften, Tiere und Menschen dar, wie Hasen, Hundepaar, zielende Jäger usw.

Zum Wältihaus ein Gedanke des Chronisten: Das alte Büetigen wies sozusagen nur Holzhäuser auf, ein Gebäude aus Mauerwerk kam offenbar nur Leuten gehobenen Standes zu. Da keine Untersuchung der Ruine, keinerlei Nachgrabung im Keller und bei den Fundamenten stattfand, bleibt es blosse Vermutung, was wir aus der Lage oben am Bärenstutz an der durchgehenden Strasse, schliessen, nämlich dass es sich um den ehemaligen Standort des festen Ritterhauses, den spätern Amtssitz des klösterlichen Meiers handeln könnte.