Die Verbotene Hochzeit

Wie wir gesehen haben, war die Stadt bereits im Mittelalter Zentrum der seeländischen Grafschaft Nidau. lm alten Bern behielt Nidau seine verwalterische Funktion als Sitz des Landvogts, 1803 wurde es zum Bezirkshauptort des Amts Nidau, dem nach 1815 auch Biel untergeordnet war. Nach 1832 wurde Biel dann zu einem eigenen Amtsbezirk und gewann während der folgenden Jahre zunehmend an Bedeutung, dies vor allem dank einer enormen wirtschaftlichen Entwicklung.

Verglichen mit der Nachbarstadt, blieb das Wachstum von Nidau während des 19. Jahrhunderts bescheiden, die ehemalige Grafenstadt wurde zu einem Vorort des entstehenden lndustriezentrums: Viele Nidauer arbeiteten in Biel. kauften in Biel ein, schickten ihre Kinder in Biel zur Schule. Nidau war verkehrstechnisch von Biel abhängig und bezog von dort sein Gas und einen Teil des Trinkwassers.

Zunehmende Infrastrukturaufgaben überforderten die finanziellen Möglichkeiten der Kleinstadt, was sich insbesondere während des ersten Weltkriegs gravierend auf den Stadthaushalt auswirkte. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass in der wirtschaftlich und politisch heiklen Lage nach dem Krieg Bestrebungen in Gang kamen, Nidau als Quartier der rasant wachsenden Gross-Agglomeration Biel einzugemeinden. Die 1919 einsetzende Fusionsdiskussion entsprach damals weit verbreiteten Zentralisationsbewegungen. In Zürich, St. Gallen, Bern und Thun wurden Aussengemeinden in die städtische Verwaltung eingegliedert. Auch für Biel war die Eingemeindungsfrage nicht neu: Bereits hatte sich die Gemeinde Vingelz der Stadt angeschlossen, während Leubringen eine Fusion ablehnte. Von besonderer Bedeutung waren aber die Eingemeindungen von Bözingen (1916). Mett und Madretsch (1919). Mett und Madretsch hatten zuvor dem Amtsbezirk Nidau angehört, durch deren Übergang an Biel verlor Nidau einen beträchtlichen Anteil an industriellem Potential. Zudem waren vor allem Bözingen und Madretsch mit rund 3000, respektive 4000 Einwohnern grösser als die Stadt Nidau mit ihren 2950 Seelen. Trotzdem erfolgten die Fusionen der Dörfer Bözingen, Madretsch und Mett mit dem Industriezentrum Biel ohne Schwierigkeiten. während die Verschmelzung von Nidau und Biel nie zustande kam. - Weshalb?

1918 erörterten SP-Politiker erstmals an einer Parteiversammlung die Frage einer Fusion mit Biel. Ein Jahr später wurde dem Gemeinderat eine entsprechende, von 71 Nidauern unterzeichnete Initiative überreicht. Die Gemeindeversammlung wählte daraufhin eine Fusionskommission, die sich aus Bürgerlichen und Sozialdemokraten zusammensetzte und mit Biel Verhandlungen führte. Innert kurzer Zeit wurde ein Fusionsvertrag ausgehandelt, der die Eingemeindung regeln sollte.

Die Befürworter eines Anschlusses von Nidau an Biel begründeten ihren Standpunkt mit den zunehmenden lnfrastrukturaufgaben, die das Steuereinkommen der kleinen Stadt übersteigen würden. «Unser Gemeinwesen ist zu gross und zu klein», machte Gemeindepräsident Guido Müller geltend. «Zu gross für den vorhandenen primitiven Verwaltungsapparat, zu klein, um den an uns herantretenden Anforderungen der neuen Zeit, aus eigener Kraft. gerecht zu werden.»

Nidau bilde zusammen mit Gross-Biel eine wirtschaftliche Einheit, wurde weiter gesagt.

Die Gegner der Fusion wiesen vor allem darauf hin, dass die Stadt Nidau als Amtssitz selbständig bleiben müsse. Die meisten ländlichen Bezirksbeamten wehrten sich gegen eine Eingliederung ihres Hauptorts in das städtische und industrielle Zentrum Biel. In diesem Zusammenhang spielte die politische Konstellation eine wichtige Rolle: in breiten Kreisen galt die Fusionsvorlage als taktischer Schritt der Sozialdemokraten. ln Nidau verfügte die politische Linke damals über eine knappe Mehrheit. Gemeindepräsident war der Sozialdemokrat und spätere Bieler Stadtpräsident Guido Müller. Bürgerliche und vor allem konservative Kreise befürchteten, bei einem Zusammenspannen von Nidau mit Biel würden sich die «Roten›› eine solide Mehrheit sichern. Diese Argumentation vertrat man vor allem auf dem Land, in Nidau selber fanden sich zahlreiche Unternehmer und Gewerbler aus bürgerlichen Kreisen, die der Eingemeindung positiv gegenüberstanden.

Die Fusionsvorlage wurde in den Volksabstimmungen von 1920 in Biel und Nidau denn auch gutgeheissen. In Biel deutlich mit 4509 Ja zu 839 Nein, in Nidau lediglich mit 309 Ja zu 244 Nein-Stimmen. Wie umstritten das wichtige Geschäft für Nidau war, zeigt der Umstand, dass der Entscheid in einer Urnenabstimmung fiel und nicht - wie damals üblich - bei einer offenen Abstimmung in der Gemeindeversammlung.

Vorbedingungen erfüllt haben, um beim Zivilstandsamt das Ehegelöbnis ablegen zu können, so steht unserer Ansicht nach dem Zivilstandsbeamten nicht zu, den Leuten zu sagen, es gehe nicht, sie müssen noch ein wenig warten, wenn zum Beispiel ein Götti von Täuffelen oder ein Vetter von Schwadernau kommt und erklärt, das gefalle ihm nicht, er möchte das nicht haben.»

Dass im politischen Leben nicht die gleichen Regeln gelten wie im «individuellen» Leben stellte sich heraus, als die Fusionsangelegenheit von Nidau und Biel am 28. Februar 1921 im Bernischen Grossen Rat diskutiert wurde. Entgegen dem Antrag der Regierung und entgegen der bisherigen Praxis - der Grosse Rat hatte bis anhin für alle Fusionsbestrebungen grünes Licht gegeben - wandte sich die vorberatende Kommission gegen einen Zusammenschluss der beiden Städte. Ihre Argumentation:

Die Voraussetzungen für eine Fusion seien nicht gegeben, bis ein neuer Amtssitz für den bisherigen Bezirk Nidau gefunden sei. Nach bewegten Diskussionen folgte die Ratsmehrheit am 2. März dem Kommissionsantrag und beschloss Nichteintreten auf die Vorlage.

Aus der Grossratsdebatte geht klar hervor, dass das Nein zur Fusion letztlich eine Machtdemonstration der bäuerlichen Mehrheit im Kanton Bern gegen sozialistische Ideen darstellte und zeigen sollte, dass man nicht gewillt war, das Wachstum des industriellen Zentrums Biel endlos zu tolerieren.

Gegen den Grossratsbeschluss reichte der Gemeinderat von Nidau beim Bundesgericht einen staatsrechtlichen Rekurs ein, der jedoch am 8. Juli 1921 abgewiesen wurde. Die Diskussion um die Umwandlung der ehemaligen Grafenstadt Nidau in ein «Quartier Nidau» war damit vom Tisch.

 

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