In der Mühlesteinfluh bei Ins gebrochen. . .

Beim Suchen nach Material über die Burg von Oltigen stiess ich seinerzeit bei Jahn, «Der Kanton Bern antiquarisch - topographisch beschrieben», (1850) auf eine Notiz über Grabfunde bei Wileroltigen. Der betreffende Abschnitt lautete:

«In einem zunächst am Dorfe Wileroltigen gegen die Saane hinaus gelegenen Erdhügel hat man 1810 und schon früherhin byzantinisclıe Kaisermünzen von Justinian usw. und muldenförmige, mit Steinplatten bedeckte Steinsärge ausgegraben, die mit dem Fussende gegen Osten gekehrt, Gerippe mit bronzenen Armringen bargen. Der Stoff dieser Sarkophage war eine mit Versteinerungen durchsprengte Steinart, welche in der Mühlesteingrube bei Ins gebrochen wird.»

Nur schade, das Verständnis für solche Funde war zu jener Zeit überhaupt nicht vorhanden. Die Skelette wurden aus den Särgen gerissen und durcheinander geworfen, denn bloss Schatzgräber zeigten sich an solchen Gräbern interessiert, weil man mit Leichtigkeit verwertbare Schätze, - Geld, Gold, Wafen, Schmuck – zu erbeuten hoffte. So wurden aus Unverstand und Besitzgier kulturelle Werte zerstört, die der Forschung unwiederbringlich verloren gingen.

Ein weiterer steinerner Sarg fand sich 1858 gar nicht so weit entfernt am Südhang des Kirchhügels von Seedorf bei Aarberg, ebenfalls aus Muschelsandstein bestehend. Wer sich um Aussehen und Grösse dieser frühmittelalterlichen Steinsärge oder Sarkophage interessiert, der findet bei Paul Hofer im soeben herausgekommenen Buch «Die Frühzeit von Aarberg» zwei sehr instruktive Zeichnungen, teilweise mit Massangaben.

Uns geht es heute nur darum, die Herkunft der mehrere Zentner schweren Steinblöcke abzuklären, welche zur Herstellung der Särge dienten, und ein wenig darüber zu staunen, wie es in jener fernen Zeit ohne rechte Strassen und ohne Tiefgangwagen möglich war, die gewichtigen Särge vom Steinbruch zur Grabstätte zu transportieren.
Nach dem Hinweis bei Jahn schien es eine kinderleichte Sache zu sein, die Mühlesteingrube bei Ins zu finden. Bewaffnet mit dem Wanderbuch Seeland, dem Blatt 1145 der Landeskarte, einem frischen Päcklein Stumpen, Kompass, Notizbuch und einigen Äpfeln vertrauten wir uns der Täufelen-Ins-Bahn an. Es war ein strahlender Septembermorgen, ein Tag, so recht zum Ferien machen. Unser Bähnlein zockelte bald hüst, bald hott, grad dorthin, wo die Bahnstrategen und die dörflichen Machthaber die Stationen seinerzeit platziert hatten. Wir waren bass erstaunt, wie rasch wir unser Ziel erreichten, und trotzdem wie beschaulich.


Da. standen wir nun, das Züglein glitt stutzab Richtung Hauptbahnhof und wir Mühlestein Fluhentdecker begannen zu brattigen, wo zu Gegend diese Fluh denn sein könnte.Ein älterer Mann, der unsere Suche wohl vom Fenster aus beobachtet hatte, näherte sich mit der Frage, ob er uns behilflich sein könne. Er konnte es! Nach wenigen Minuten streckten wir die Beine unter dem Stammtisch eines zweiten Restaurants, liessen uns etwas Kräftigeres kredenzen, beguckten die Karte mit und ohne Lupe, kribelten ernstlich ins Notizheft und liessen uns explizieren, dass es zu Ins seinerzeit sozusagen eine ganze Reihe von Mühlesteingruben gegeben habe, aber keine direkt im Dorf. Schon im Jahre 1282 sei von ihnen die Rede, von den mulera apud Ines, die alle aufzusuchen etwelche Kartenlesekünste und ein gutes Auge erfordere.


Vorerst aber liessen wir uns von dem kundigen Manne viel Wissenswertes und Interessantes berichten, das er in einem abgegriffenen, dicken, schwarzen Notizbuch fand, welches er zuerst daheim geholt hatte. «Seit ich im sogenannten Ruhestand lebe, schreibe ich alles Wissenswerte so in ein Heft: Zeitungsnotizen, Funde aus Büchern, Interessantes vom Radio etc. Das ist mein Hobby», lächelte er, «und mein papierenes Gedächtnis. Ich habe bis heute 13 solcher Hefte gefüllt. Ihr Besitz hat mir schon viele interessante Begegnungen vermittelt, wie gerade jetzt mit Ihnen.


Lueget, Mühlisteine braucht es, seit man Brot backen kann, also schon sehr lange. So begreifen wir, dass die Mönche in den Klöstern darauf achteten, immer einen Vorrat von Steinen auf Lager zu haben. Da es aber im Seeland und weit darüber hinaus nur an zwei Orten gutes Gestein dazu gibt, nämlich in Schnottwil und hier bei Ins, waren sie darauf erpicht, sich Steine vertraglich zu sichern. So erhielten die Mönche von Hauterive schon 1230 das Recht, jährlich selbst zwei Mühlesteine ausdem Bruch am Schaltenrain zu beziehen, später deren vier. Das Gleiche wurde auch der Abtei St. Johannsen zugesichert. Seit 1351 bezog die Gottstatter Klostermühle zu Mett ihre Steine aus Ins.
Auf dem Mitte des 17. Jahrhunderts schifbaren Münzgraben wurden via Broye und Neuenburgersee viele Steine verschifft, um ins Waadtland, nach Savoyen hinüber und ins Greyerzerland hinauf transportiert zu werden. - Gute hundert Jahre später wurde auch der Bielersee erreichbar. Im Jahre 1791 beschloss nämlich die Regierung: «Damit die Mühlesteinen von Inss nicht mehr durch die Gamppelen Strass, sondern durch die Strass von Inss nacher Erlach bis an den See geführt und abgelegt werden könnind,» ist die Ins-Erlach-Strasse zu verbessern.


Wir hätten noch lange zuhören mögen, aber das Tagesziel, die «Mühlesteinfluh» zu entdecken, lockte uns gebieterisch auf die Strasse. Der freundliche Kenner anerbot sich, uns zu den nächsten beiden Gruben zu geleiten. Die Frau schön in der Mitte, geniesserisch an den Stumpen qualmend, trappeten wir durch die Gassen. Bald auf einen Türsturz aus Muschelsandstein, auf gehauene Fenstergewände hinweisend, vor einer Sockelpanie mit Kellertürgreis stehenbleibend, wurden wir von unserem Führer geschickt auf die wichtigsten Merkmale der einheimischen «Fluh» aufmerk-sam gemacht. Nicht lange dauerte es, da hatten seine Plaudereien unsere Augen so geschärft, dass uns bald da bald dort Mauersteine, Treppenstufen und Fenstereinfassungen auffielen, an denen wir vor kurzem noch achtlos vorübergegangen wären. Aus dem gleichen Material hätten auch die Sarkophage von Wileroltigen bestanden, erklärte er. Aber auf unsere Frage, wie man denn zu so früher Zeit die fertigen Särge bis zur Grabstelle transportiert habe, wollte er sich nicht festlegen. Jedenfalls lasse sich denken, dass man die Lasten zur kalten Jahreszeit geschleipft habe. Übrigenssei das -  mit grösserer Mühe allerdings - auch zur Sommerszeit möglich gewesen.


Inzwischen hatten wir den Dorfbann verlassen und wir näherten uns den «Grueben», wie wir der Karte entnahmen. Bei diesem Gehöft und südöstlich davon trafen wir auf die Überreste der seinerzeitigen Muschelsandsteinbrüche, in welchen ehemals die weitherum begehrten Mühlesteine gewonnen worden waren. Wir hatten die «Mühlesteinfluh bei Ins» erreicht. Es muss dem interessierten Heimatfreund überlassen bleiben, die Überreste weiterer Steinbrüche aufzuspüren, sei es im Walde südlich der Obern Budlei, wo der Ausdruck «Mueleren» an die Gewinnung vonMühlesteinen erinnert, sei es in der Nähe des Brüttelenbadwegleins.


Der Vollständigkeit halber sei noch der Steinbruch «Flue» erwähnt (Punkt 540), wo bis nach dem zweiten Weltkrieg als bäuerlicher Nebenerwerb Muschelsandstein gebrochen wurde. Für Mühlesteine war er allerdings zu wenig hart, hingegen fand er im Bauwesen vielseitige Verwendung als «Brüttelenstein». Der Hof Flue wurde während langer Zeit vom jeweiligen Scharfrichter, Schinder und Wasermeister bewirtschaftet. Die letzte Hinrichtung in Erlach erfolgte im Jahre 1825.


Nach 1860 hielten von Frankreich her die viel bessern Champagne-Steine in unsern Mühlen Einzug und der Betrieb in den Inser Steingruben wurde fast über Nacht eingestellt. Einzig in der Grube Flue wurde noch weitergearbeitet, bis die Zementindustrie auch den letzten Hammer und das letzte Steckeisen zur Ruhe gebracht hatte.