Das Amt Erlach als Gebiet historischer Flurforschung

Wir haben das Amt Erlach seit bald zwei Jahrzehnten zum Gebiet historischer Flurforschung gewählt und immer wieder daran gearbeitet. Solche Arbeit ist ein mühsames Zusammentragen kleinster Mosaiksteine und verlangt viel geduldige Kartierungsarbeit. Aber sie führt allmählich zu Resultaten. Die schriftlichen Quellen werfen dabei nicht genügend ab. Sie werden erst verständlich mit Kartierungsarbeit, Beobachtung des Geländes, in Kombination mit archäologischer Forschung, bodenchemischen Untersuchungen und interpretation der Flurnamen. Noch sind diese Arbeiten nicht alle durchgeführt. Wir haben als erste Ergebnisse in der Festschrift für Hermann Rennefahrt 1958 (Lit. 8) die Untersuchung über Treiten vorgelegt. ln der nun vorliegenden Publikation beschränken wir uns darauf, schon um des Rahmens willen, die seither gewonnenen Ergebnisse über Vinelz, Finsterhennen und Lüscherz mit Seitenblicken auf die andern Gemeinden des Amtes zu unterbreiten. Dabei müssen wir uns in der Kartenbeilage mit einer bis zwei Kartierungen je Gemeinde begnügen, was an sich zu einer vollständigen Präsentation einer Gemeinde nicht ausreicht. Wollte man die frühern Zustände einer Gemeinde nach allen ihren Aspekten kartieren, um aus dem Vergleich Schlüsse ziehen zu können, müssten für jede Gemeinde 7-8 Karten in grösserem Massstab und mit mehr Farben vorgelegt werden können. Doch dürfte auch die beigelegte Tafel schöne Einblicke in die Geschichte von Dorf und Flur im Amt Erlach vermitteln.

Das Amt Erlach eignet sich für Forschungen dieser Art besonders gut, weil es eines jener Gebiete der Schweiz ist, die aus fast allen Epochen der Besiedlung deutliche Spuren hinterlassen haben, und wo die Fragen der Kontinuität der Siedlung oder der Siedlungsunterbrüche am ehesten abgeklärt werden können. Die Jungsteinzeit und die Bronzezeit sind durch die bekannten Seeufersiedlungen vertreten. Die späte Hallstattzeit hinterliess die fürstlichen Grabhügel auf dem Rücken des Schaltenrains, die von einer hochentwickelten Kultur am Beginn der keltischen Epoche zeugen, die ihrerseits in fortgeschrittenerem Stadium die Typstation La Tène, unserem Gebiet unmittelbar benachbart, lieferte. Die römische Zeit ist im Gebiet zwischen den drei Seen mit zahlreichen, allerdings nicht systematisch ausgegrabenen Villenplätzen, ferner Strassen und Brücken vertreten.

Die Arbeiten an der zweiten Juragewässerkorrektion haben die Kenntnisse über die spätkeltische und die römische Zeit bedeutend erweitert. Mit dem gewaltigen Erdwerk der Hasenburg zwischen Vinelz und Ins besitzt das Gebiet möglicherweise ein prähistorisches und frühgeschichtliches Objekt von internationalem Rang, das durch die Zeiten hindurch Aufschluss über Kulturen und Siedlungszusammenhänge geben könnte -insbesondere auch über den Übergang vom Altertum ins Mittelalter. Abgesehen von ihrer möglichen Verbindung mit den hallstättischen Fürstengräbern ist die Burg typologisch auch der fränkischen Zeit zugeordnet worden und trug später auf ihrer Kuppe die Stammburg des Grafenhauses von Fenis, aus dem um 1100 das Grafenhaus von Neuenburg hervorging, um 1200 das Grafenhaus von Nidau, später die Linien von Aarberg-Valangin und Strassberg-Büren abzweigten (vgl. S. 57 und S. 99ff). Damit kommen wir bereits in den zeitlichen Bereich, in welchem die uns später entgegentretenden Fluren und Dorfsiedlungen erkennbar werden.

Zur Erforschung der Dörfer und Fluren im Amt Erlach steht aus der Zeit vom 16. Bis 18. Jahrhundert überdurchschnittlich gutes Quellenmaterial zur Verfügung, dessen Auswertung auch Schlüsse auf frühere Zeiten zulässt. insbesondere wurde durch den zum Kreise der Oekonomischen Gesellschaft gehörenden Nidauer Landschreiber Abraham Pagan und dessen Söhne Abraham und Samuel sowie den Mitarbeiter Emanuel Schmalz im Auftrage des Landvogtes von Erlach in der Zeit von 1779 bis 1786 im Zusammenhang mit der Aufnahme neuer Urbare ein monumentales Planwerk über die damaligen Aemter Erlach und St.Johannsen erstellt, das nebst entscheidenden Grundlagen für unsere Arbeit in photographischen Ausschnitten verschiedene Abbildungen des vorliegenden Sammelbandes lieferte. Es umfasst:

Parzellarpläne meist 1 :1200, über jede Gemeinde in der Regel ein Atlas in zwei bis drei nicht ganz identischen Exemplaren. Eines der Exemplare scheint jeweils eine Reinzeichnung am Ende der Urbaraufnahme um 1786 zu sein. Die Parzellennummern korrespondieren mit den zugehörigen Urbaren. Die Atlanten liegen im Staatsarchiv Bern, einige auch in den Gemeinden.

Nrn. 62-64: ins l, 3 Exemplare

Nrn. 65 und 66: lns ll, 2 Exemplare

Nrn. 67 und 68: Ins Ill, 2 Exemplare (ferner im Gemeindeasrchiv)

Nm. 69 und 70: ins IV, 2 Exemplare

Nrn. 71 und 72: ins V, 2 Exemplare

Nrn. 73-75: Brüttelen und Gäserz, 3 Exemplare

Nr. 76: Erlach und Mullen

Nr. 77: Finsterhennen

Nrn. 78 und 79: Gals und St. Johannsen, 2 Exemplare (vom Blatt Jolimontgut ferner1 Exemplar im Besitz der Caisse de famille Pury)

Nrn. 80 und 81: Gampelen, 2 Exemplare

Nrn. 82 und B32 Lüscherz und Gurzelen, 2 Exemplare (ferner1 Exemplar im Gemeindearchiv)

Nrn. 84 und 85: Müntschemier, 2 Exemplare

Nrn. 86 und B7: Treiten, 2 Exemplare (ferner1 Exemplar im Gemeindearchiv)

Nm. 88 und 89: Tschugg, 2 Exemplare

Nr. 90: Vinelz.

Zu jeder Gemeinde in der Regel ein Genera/plan (Gesamtplan) in kleinerem Massstab, enthaltend ebenfalls die Parzellierung, weniger Flurnamen, die Landnutzung, keine Angabe der Besitzer (Grosjean, Karten- und Plankatalog Nr. 148). Ein prachtvoller Generalplan über die Aemter Erlach und St. Johannsen, 1:4500, 230x210 cm, als Schlussstein des ganzen Werkes, von der Hand von Emanuel Schmalz, 1786, enthaltend Parzellierung, Landnutzung sehr differenziert, reich beschriftet (Staatsarchiv Bern, AA lV, Erlach 1; für das Amt St.Johannsen vgl. auch 3).

Die zum Planwerk gehörenden Urbare aus der Zeit von 1782-1784 tragen im Staatsarchiv die Bezeichnungen Erlach 27-30. Band 27 enthält die Rechtsame-Dominia, Amtmannsnutzung, Zehnten und Marchen, die Bände 28 und 29 inventarisieren die Bodenzinse, Band 30 das Edellehen, von dem noch die Rede sein wird. Die Bodenzinsurbare des Amtes Erlach sind seit dem 16. Jahrhundert in einer etwas besondern Weise aufgenommen worden, die erlaubt, den Grundbesitz parzellenweise bis ins 16. Jahrhundert zurück zu rekonstruieren. Das war nicht in allen Aemtern des Kantons so. Das Besondere besteht darin, dass man die Schupposen, d.h. die Betriebseinheiten der ersten systematischen Urbaraufnahme um 1530 gewissermassen stabilisierte und bei jeder neuen Urbaraufnahme als Einheit beisammen liess, auch wenn die Schupposeneinheiten zufolge von Erbgängen, Tausch und Verkauf längst nicht mehr mit den Besitzeinheiten zusammenfielen. Einer der Betriebsinhaber, die auf der Schuppose Land hatten, war Träger der Schuppose und als solcher verantwortlich für die Ablieferung des Bodenzinses. Damit kam die Herrschaft unfehlbar zu ihrer Sache, und der Träger hatte sich mit seinen Mitbesitzern über die Anteile am Bodenzins herumzuschlagen. In mehreren Gemeindearchiven sind dementsprechende «Trägerurbare» erhalten. Es kam sogar vor, dass der Träger selbst überhaupt keinen Anteil an der Schuppose hatte. Dieses System wurde offenbar eingeführt, weil es, laut Vorwort zum Urbar von 1572, durch die häufigen Erbgänge und Handänderungen unmöglich war, den ursprünglichen Bestand der Schupposen und die Bodenzinsanteile zu ermitteln, wenn man jeweils vom aktuellen Zustand ausging. Folglich fror man den Bestand der Schupposen einfach ein, so dass wir aus den Urbaren von

1782 - 1784 zwei Einteilungen kartieren können:

1. Den Grundbesitz, der auch in den Planatlanten in jeder Parzelle eingetragen ist und die Betriebseinheiten um 1780 zum Ausdruck bringt. Die Urbare enthalten nur die bodenzinspflichtigen Parzellen, die Planatlanten führen auch die Besitzer der zahlreichen bodenzinsfreien Parzellen auf.

2. Die Schupposen. Sie stellen die eingefrorenen Grundbesitzeinheiten aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts dar, allerdings nur soweit sie bodenzinspflichtig waren. In den ersten Urbaren ist jede Position in der Regel noch in der Hand eines einzigen Besitzers, der auch Bewirtschafter war. Selten sind zwei oder drei Besitzer angeführt, meist als Brüder oder Verwandte zu erkennen, womit angenommen werden kann, dass in der unmittelbar vorangegangenen Generation die Urbarposition noch eine einzige Parzelle in einer Hand bildete. Von Urbar zu Urbar nimmt dann die Zahl der Mitbesitzer zu, so dass nach den Urbaren und Plänen um 1780 jede ursprüngliche Position in eine Mehrzahl bis Vielzahl von Besitzparzellen zerfällt. Für die Grundherrschaft des Schlosses Erlach liegen im Staatsarchiv Bern neben den erwähnten Urbaren von 1782-1784 vollständige parzellenweise Urbare von 1622 (Erlach 13), 1572 (Erlach 10) und solche mit der nachträglichen Datierung 1525 (Erlach 4); diese ist zu Recht bezweifelt worden (freundliche Mitteilung von Herrn Dr. P. Tardent, anlässlich seiner Bearbeitung des Themas «Niklaus Manuel als Landvogt in Erlach» 1974). Da fast im ganzen Staat Bern im Anschluss an die Reformation - aber nicht vorher- systematische Urbare aufgenommen wurden, darf man die fraglichen Urbare von Erlach in die Zeit um 1530 setzen. Für unsere Untersuchung ist die kleine Zeitdifferenz nicht von Bedeutung. Für die Grundherrschaft des Klosters St. Johannsen bestehen vollständige parzellenweise Urbare für 1782-1784 (Erlach 112), 1652 (Erlach 85-88), 1583 (Erlach 78-81) und 1533 (Erlach 75). Wir haben den Bestand der Schupposen und übrigen Teile der Grundherrschaften in Tabellen parzellenweise verglichen und festgestellt, dass der Bestand weitgehend identisch ist. Eine Anzahl Parzellen lassen sich aufgrund des Beschriebs nicht sicher identifizieren, andere, sehr wenige, sind seit dem 16. Jahrhundert neu dazu oder in Abgang gekommen. Es betrifft dies meist Randpositionen. Wir können folglich anhand der Parzellarpläne von 1779-1786 den Parzellarplan um 1530 approximativ rekonstruieren, allerdings nur, soweit er bodenzinspflichtiges Land betrifft.

Als weitere Quellen für unsere Untersuchung wurden einige Einzelpläne über Marchen und Wälder beigezogen, ferner die Urkunden und die Aemterbücher. Die Aemterbücher sind sehr wertvolle Sammlungen der Korrespondenz zwischen der bernischen Obrigkeit und den Landvögten. Weitere Quellen, vor allem für die Beurteilung der Dörfer, sind die Feuerstättenzählungen von 1558/59, 1652/53 und 1764. Aus Gründen des Umfangs legt die vorliegende Arbeit das Schwergewicht auf die Fragen des Ursprungs und der Entwicklung der Gewannflur und des Dreizelgensystems. Ihre Auflösung im 19. Jahrhundert kann nur noch summarisch erfasst werden.