Die Meyenziger-Chilbi in Lyss

Die Schweinebesitzer von Büetigen durften von alters her den Lysswald als Weide benutzen und feierten das freundnachbarliche Nebeneinander jedes Jahr mit einem gemeinsamen Zigeressen. Der fröhliche Anlass wurde als Chilbi bezeichnet, wobei sicher das bei Chilbinen übliche Markttreiben und nicht ein kirchlicher Anlass namengebend war.

Zu jener Zeit sah der Wald ganz anders aus, - ohne Tannen - und man schätzte weniger den Holzertrag als die Funktion der Viehweide, die Möglichkeit der Schweinemast und die Laubnutzung. Soweit Eichenwald vorherrschte, kam noch der Anfall an Lohrinde dazu. Vom Frühling bis in den Herbst hinein musste sich das Vieh sein Futter selber suchen, sei es auf den Stoppelfeldern, sei es auf dem Weideland oder im Wald. Grasiger Unterwuchs, dürres Laub, Zweige, Aste und Rinde dienten den hungrigen Tieren als Nahrung. Da das Stroh meist zu Futterzwecken benützt wurde, musste im Wald überdies dürres Laub gesammelt werden, welches dann als Einstreu im Stall zu dienen hatte.

Wir haben uns den Laubwald mit weiträumig stehenden Eichen und Buchen fast wie eine Hofstatt, oder doch wie ein Mittelding zwischen Wald und Wiese, mit deutlicher Betonung auf Wald, vorzustellen. Hier fielen im Herbst die Eicheln und Buchnüsse, gab es zudem auch sogenannte «beerende Bäume››, das sind wilde Apfel- und Birnbäume, deren Ertrag ebenfalls zum Schweinefutter gehörte. Alles, was den Schweinen zukam, wurde als Acherum bezeichnet. Als Gegenleistung hatten die Besitzer der Tiere den Holzhaber zu entrichten, einen Naturalzins, welcher gewöhnlich für jedes erwachsene Schwein 2 Imi betrug. - Das Imi oder Immi war ein Hohlmass für Getreide und fasste 3,5 Liter.
Wann die Zigerchilbi erstmals begangen wurde, ist unbekannt. Oppliger vertritt in seiner Geschichte von Lyss die Ansicht, sie habe seit urdenklichen Zeiten bestanden, was in dieser unbestimmten Formulierung sowohl einen vorreformatorischen als auch einen spätern Ursprung anzunehmen gestattet. Man könnte sogar vermuten, sie sei erst während des Dreissigjährigen Krieges aufgekommen, weil es damals unsern Vorfahren bekanntlich ungemein gut ging.«Was Grund und Boden eintrug, hatte guten Absatz gefunden und unverhofften Erlös eingebracht. Die steilen Strohdächer der Lysser Bauernhäuser waren bis auf das letzte erneuert; ausgebessert Tür und Tor. Im Gänterli lagen die ersparten Batzen im ledernen Säckel. Da und dort ruhte ein erübrigtes Sümmchen im Bettstroh, wohl geborgen des Tags und sicher gehütet des Nachts. Und doch hatte man nicht gegeizt, manch einen Batzen rollen lassen, den man in andern Zeiten zweimal umgewendet hätte. Eine Gier nach Geniessen, eine Freude am Leben erfüllte jung und alt,» liest man in der Geschichte von Lyss.

Wenn wir recht berichtet sind, musste die Chilbi jeweilen beim Einnachten abgebrochen werden. Aber die Feste waren damals so selten, dass selbst ein kurzes und bescheidenes Vergnügen die Herzen höher schlagen liess, höher als heute der wohlgelungenste Vereinsanlass. Als Festplatz diente der Mühleplatz, auf welchem natürlich noch keine lebensgefährdende Blechschlange vorübersauste und man ungefährdet rechts und links Bescheid tun konnte. Das wimmelte, lachte und schnäderte durcheinander, neckte und hänselte sich, machte Gesundheit, sang und jauchzte, als ob ewiger Tanzsonntag ausgebrochen und die Beutel voller Taler wären.
Bei den Marktständen lagen die Gutsachen jener Zeit feil, beileibe nicht die gleichen wieheute. Auf langen Tischen sah man die schönsten Laibe küstigen Brotes und verlockende Weggen, aber die übrigen Esswaren bestanden neben geschwellten Eiern vor allem aus Ziger: Schüsseln voll frischen Zigers, Ziger mit Honig vermischt; möglicherweise hätten Leckermäuler auch mit gehackten Kräutern vermengten rassigen Ziger erlickt. Daneben fanden sich ganze Reihen runder, braungeräucherter Zigerlaiblein und noch viel mehr schwere, vierkantige Stöcklein, mit Salz haltbar gemacht, bereit zum Einkellern. Lebkuchenherzen wurden ausgerufen, Kachelgeschirr verkauft und noch dutzenderlei andere Ware, hier nicht näher zu beschreiben.

Man musste die Käufer nicht zuchen tragen und die Tänzerinnen und Tänzer nicht am Halslig herbeiführen, sie kamen von selber, begierig, von der Freude und Lebenslust ihren Anteil ungeschmälert zu geniessen. Mancher Bänzli umfasste fester sein Mädeli, mit ihm zu fahren, stampfend schön im Takt, wie Fiedel, Querflöteund übrige Instrumente es verlangten. Grad neidisch scheinen die Lysser nicht gewesen zu sein, oder vielleicht lag es an einer alten Abmachung, jedenfalls durfte der Wirt aus Büetigen daselbst Getränke ausschenken, wenn man ihm auch nur eine Hofstatt an der hintern Gasse angewiesen hatte. Doch die Festbesucher hielten zu ihrem Dorfgenossen und kehrten freundnachbarlich bei ihm zu einem kühlen Schoppen ein, sei es vom gewohnten Dotziger oder etwas Besserem vom Jensberg oder gar vom See drüben.

Es hätte den übersühnigen jungen Burschen etwas gefehlt, wenn der Tag ohne währschafte Prügelei abgegangen wäre. Mit den Fäusten, mit Hagscheieli, schnell zerbrochenen Bohnenstecken und ausgerissenen Stuhlbeinen drosch man aufeinander los, bis blutige Köpfe und fliehende Gegner Einhalt boten, bevor die Vertreter der kirchlichen Oberkeit, die Heimlicher, auftauchten, deren Erscheinen böse Tage verhiess. 

Mehr als einmal im Verlauf der Jahrhunderte drohte der Lysser Zigerchilbi ein unrühmlicher Untergang. Aber sie bewies ein katzenzähes Leben, gäb wie man sich anstrengte seitens jenerÜbelmögigen, welche niemandem ein Freudeli gönnen; die Chilbi blieb, lebte fort und erst mitder alten Eidgenossenschaft soll sie untergegangen sein.