Das Stanser Verkommnis 1481
Das mutwillige gesetzlose Treiben erreichte seinen Höhepunkt, als 1477 eine tausendköpfige Schar unbotmäßiger Gesellen aus den Waldstätten zu einem Raubzug nach der Waadt und Genf auf brach, wo man das Geld von einer der Stadt früher auferlegten Brandschatzung zu erheben gedachte. « Saubannerzug » hieß man die tolle Fahrt nach der vorangetragenen Fahne mit einem Eber im Felde. Überall, wo die unterwegs auf etwa 1700 Mann angestiegene Bande durchkam, verbreitete sie Furcht und Schrecken. Eidgenössischen Boten, die herbei eilten, gelang es schließlich, die zu allem Unfug aufgelegten Leute, nachdem sie zu Freiburg einen Trunk getan und jeder zwei Gulden erhalten hatte, zur Um- und Heimkehr zu bewegen.
In den um die Erhaltung der öffentlichen Ordnung besorgten Städten sah man die geregelten Beziehungen zum Ausland durch solch beschämende Streiche erschwert und gestört. Die Erbitterung über die innern Orte war nicht gering, denn man traute ihnen zu, daß sie zur Verhinderung dieses Treibens nicht nur nicht die Macht, sondern auch nicht den rechten Willen gehabt hätten.
Unter diesen Umständen war es den fünf Städten Bern, Luzern, Zürich, Solothurn und Freiburg nicht zu verargen, wenn bei ihnen der Gedanke einer besondern Verbindung erwachte, umso weniger, als schon vorher die innern Orte ein Landrecht mit dem Bischof von Konstanz eingegangen waren. Die Städte planten einen engern Zusammenschluß der Eidgenossenschaft. Die verschiedenartigen Bündnisse unter den einzelnen Orten sollten durch einen einzigen, alle Orte gleichmäßig umfassenden und verpflichtenden Bund abgelöst werden, die Entscheidung über Krieg und Frieden Sache des Gesamtbundes sein. Obschon dadurch die Eidgenossenschaft eine Stärkung erfahren und ihr Ansehen gewonnen hätte, wollten die Länderorte, die ihren Einfluß gemindert und ihre Selbständigkeit angetastet glaubten, nichts von den Vorschlägen der Städte wissen und setzten ihnen einen unbeugsamen Widerstand entgegen. Der jahrelang dauernde und immer peinlicher werdende Streit drohte in einen Bürgerkrieg auszuarten. Hervorragende Männer aus beiden Lagern strengten sich an, das Äußerste zu vermeiden, und nach mühsamen Verhandlungen kam eine Verständigung zuwege. Die Länder erklärten sich bereit, das Landrecht mit dem Bischof von Konstanz preiszugeben und den Städten die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nötige Gewähr zu leisten; die Städte ihrerseits waren bereit, auf ihr Bündnis zu verzichten, sofern Freiburg und Solothurn als Bundesglieder in die Eidgenossenschaft der acht Orte aufgenommen würden.
Aber als die Boten zur verabredeten Zeit in Stans zusammentraten, drohte der mühsam vereinbarte Friedensentwurf wegen der künftigen Stellung von Freiburg und Solothurn im Bund zu scheitern. Unverrichteter Dinge hoben die Gesandten nach bittern Verhandlungen am vierten Tage die Sitzung auf und rüsteten zur Abreise. Es schien, als ob das Schwert entscheiden und die Eidgenossenschaft zerfallen solle. In diesem gefährlichsten Augenblick bewirkte das vom Pfarrer Heinrich am Grund überbrachte Wort des Bruders Klaus das Wunder, daß die nochmals zusammengetretenen Gesandten in plötzlicher Erleuchtung zur langersehnten Einigung kamen.
An dem Stanser Verkommnis waren die acht Orte allein unmittelbar beteiligt: es wurde aber auch für ihre Verbündeten und Zugewandten verbindlich erklärt, also auch für Biel, obwohl es nicht genannt war. Es stärkte in den Städten und Ländern das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und brachte in seinen dem Landfrieden dienenden Bestimmungen mancherlei Fortschritte.