Die mittelalterliche Stadt
Mauer und Markt machten die Siedlung zur Stadt. Die Burg mit den anschließenden Häusern war die Keimzelle der Stadt, die sich zuerst ostwärts ausdehnte und den Ringplatz entstehen ließ. Dieser wurde auf zwei Seiten von der ältesten Kirche, der Vorgängerin der jetzigen Stadtkirche, und vom Rathaus, das sich an der Stelle der «Alten Krone» erhob, eingerahmt und war mit dem Burgplatz durch zwei schmale Gäßlein verbunden, Am « Ring» wurden später auch die Zunfthäuser gebaut, darunter eines der schönsten Gebäude der Stadt, das einstige Zunfthaus zu Waldleuten, nun vernachlässigtes Eigentum des Kunstvereins. Der Ring war Marktplatz und Versammlungsort und der eigentliche Mittelpunkt des städtischen Lebens. Hier, unter freiem Himmel, wurde Recht gesprochen. Der Vennerbrunnen, ein stämmiger Krieger, der in nerviger Faust das Bieler Banner hält, gehört dem 16.Jahrhundert an.
Die Stadt mag sechzig schmale Häuser gezählt haben; man wohnte damals in engen Räumen. Die erste Erweiterung der Stadt, Ober- und Untergasse, ist ausgangs des 13.Jahrhunderts bezeugt. Um 1340 schloß sich südlich der Schüß und der längst mühlen- und brückenlosen Mühlebrücke ein neuer Stadtteil, die «Nüwenstatt», an: das Gebiet der heutigen Nidaugasse bis zur Dufourstraße. Damit hatte die Stadt schon vor der Mitte des 14. Jahrhunderts in ihrer baulichen Entwicklung die Grenzen erreicht, in denen sie, von vereinzelten Häusern vor den Toren abgesehen, bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts steckenbleiben sollte.
Aus den rasch aufeinanderfolgenden Stadterweiterungen spricht eine schwellende Lebenskraft, die bis ins letzte Jahrhundert hinein keiner späteren Epoche mehr geschenkt war. Allzu tief ins Mark hatte der verhängnisvolle Brand die Stadt getroffen.
Nicht wie ein Phönix, schön und glänzend, stieg die geprüfte Stadt aus ihrer Asche. Wir dürfen sie uns auch nicht nach dem Bilde der jetzigen Stadt vorstellen. Sie unterschied sich wohl wenig von der früheren Anlage und hatte wie diese noch lange eher das Aussehen eines von Mauern und Türmen umgebenen Dorfes in geschlossener Bauart. Die Bewohner, auch wenn sie ein Handwerk ausübten, trieben auf den umliegenden Äckern, Wiesen und Weiden Landbau und hielten Groß- und Kleinvieh. Besondern Fleiß wendeten sie an den Rebberg. Die Häuser waren aus Holzwerk mit Schindeldach, hatten in engem Hofraum Stall und Scheune und häufig einen Kelterraum. Die Fluchtlinie verlief unregelmäßig, Plätze und Gassen waren holperig und schmutzig, und auch die Misthaufen fehlten nicht. Borsten- und Federvieh trabte und flatterte herum, und wenn die Stadt sich zu einem hohen Besuch, einem kirchlichen Fest oder einem Jahrmarkt rüstete, dann mußte der Rat vorerst Straßen und Plätze säubern und das Vieh einsperren lassen.
Nach und nach trat eine Wandlung ein. Neben den Holzhäusern und an ihrer Stelle erhoben sich gemauerte, zum Teil behäbige Bürgerhäuser, Plätze und Gassen erhielten schöne, mit Standbildern geschmückte Brunnen und ein Steinpflaster. Mehr noch als eine Zierde der Stadt waren die von der Brunnquelle gespiesenen Brunnen eine Wohltat für die Bevölkerung. Vom guten, reichlichen Wasser hing das Gedeihen der Stadt und ihres Gewerbes ab. Die angesichts der Stadt aus dem Felsen tretende, von fremden Besuchern wegen ihrer Ergiebigkeit und Güte immer wieder bestaunte und bewunderte Quelle lieferte ein köstliches Trinkwasser, trieb mehrere Mühlen und füllte Stadtgraben und Feuerweiher.
Aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt als dritter Kirchenbau auf dem gleichen Platz die Stadtkirche, im Innern ein schönes Beispiel spätgotischer Baukunst. In dieselbe Zeit fällt die Gründung des Johanniterklosters, das an die südöstliche Ecke der «Nüwenstatt» zu stehen kam, da, wo sich nun das Schulhaus an der Dufourstraße befindet. Der Rat ging bereitwillig auf das Vorhaben ein, schenkte die Hofstatt, trug zum Bau und Unterhalt des Gotteshauses bei und befreite es von allen Abgaben. Eine tiefergehende Wirksamkeit war dem Kloster, das nach der Reformation aufgehoben wurde, versagt. Dem 16.Jahrhundert gehört das Rathaus mit dem schon erwähnten großen Wappenstein an, wo unter dem Bielerschild die Wappen der drei Verbündeten Städte Bern, Freiburg und Solothurn zu sehen sind. Weiter unten steht das alte Zeughaus, wo gegenwärtig das Theater untergebracht ist. Vor dem Rathaus ist als sinnvolle Mahnung der Gerechtigkeitsbrunnen aufgestellt. Etwas später erstand an der Obergasse, und zwar am Platze des alten Rathauses, aus dem man in das neue Gebäude auf der Burg gezogen war, der stattliche Gasthof «zur Krone», neben der Kirche das eindrucksvollste Gebäude der Altstadt, jetzt Sitz der Elektrizitätsverwaltung. In diesem vornehmsten Gasthof des alten Biel spielte sich durch Jahrhunderte ein gut Teil des gesellschaftlichen und politischen Lebens der Stadt ab.
An der Obergasse überraschen bei der südlichen Häuserreihe die an Bern und Murten gemahnenden Lauben. Zuunterst, beim Eingang, befindet sich das geräumige sogenannte Fürstenhaus, einst Eigentum des Stadtherrn, des Fürstbischofs von Basel, der jeweilen hier abzusteigen pflegte. Leider mußte der dortige Straßenabschluß, der wuchtige Obertorturm, im letzten Jahrhundert einem eingebildeten Verkehrserfordernis weichen, wodurch in das geschlossene Stadtbild eine klaffende Lücke gerissen wurde. Am obern Ende der Gasse, vor dem ehemaligen Gasthof zur Krone, steht ein merkwürdiges Brunnenbild, ein Engel, der das Unschuldslamm vor dem gierigen Zugriff des gehörnten Teufels birgt.
Die Untergasse weist neben den schmalen mittelalterlichen Bürgerhäusern, von denen freilich die meisten durch barbarische Umbauten verdorben sind, das immer noch schöne Sässhaus der Abtei Bellelay auf, wo jahrhundertelang die weißgekleideten Prämonstratenser Chorherren einkehrten. Heute nennt sich das Haus nach seinen neuen Gästen «Proletaria».
Die «Nüwenstatt» hat ihr Altstadtkleid längst abgestreift und ist, wenn auch in etwas anderem Sinne als ihr Name besagte, völlig im geschäfts- und verkehrsreichen neuen Biel aufgegangen.
Wie anderwärts, nährte das zünftige Handwerk auch in Biel seinen Mann. Die Erzeugnisse der Bieler Gerber Waren eine Zeitlang selbst im Auslande gesucht und geschätzt. Größere Kunst und vermehrter Wohlstand ließen neue Handwerke entstehen, Geräte und Waffen, Kleidung und Schmuck wurden reicher. Wohlhabende begannen, die bisher dürftig eingerichteten Wohnungen besser auszustatten.
An den Markttagen zogen die Landleute der Umgegend zu den Toren der Stadt herein, fremde Krämer boten ihre Ware feil, und das eingesessene Handwerk zeigte, was sein Fleiß geschaffen - der Zauber von Kauf und Verkauf lag über der Stadt und belebte sie mit buntbewegtem Treiben. Trunk und Tanz beschlossen den Tag.