Politische Flüchtlinge
Nach den von der Pariser Julirevolution angefachten, jedoch mißglückten Aufstandsversuchen in Deutschland, Italien und Polen hatten sich Scharen von flüchtigen Freiheitskämpfern in die Schweiz gerettet, wo sie gastlich aufgenommen wurden. Die weitherzige Handhabung des Asylrechts, wie sie
namentlich die liberale Berner Regierung anfänglich übte, brachte die Schweiz in ernsten Gegensatz zu den fremden Mächten. Diese beklagten sich in geharnischten Noten, hinter denen der allmächtige österreichische Staatskanzler Metternich stand, über das Treiben der Flüchtlinge, die vom sicheren
Schweizer Boden eine rührige revolutionäre Propaganda entfalteten, ja sogar bewaffnete Einfälle in die Nachbargebiete vorbereiteten. Dem großen italienischen Patrioten und Verschwörer Giuseppe Mazzini gelang es, die in Biel und andern Gemeinden im Jura untergebrachten Polen zu einem abenteuerlichen Freischarenzug nach Savoyen zu verführen. In den radikalen Kreisen Biels wußte man um den Plan und unterstützte ihn. Es ist kein Zweifel, daß er auch Neuhaus und andern Regierungsräten bekannt war; aber statt dem neutralitätswidrigen und für die Schweiz gefährlichen Unternehmen zu wehren, ließen sie ihm den Lauf. Der klägliche Ausgang führte die entwaffneten
Polen wieder in den Kanton Bern zurück. Die romantische Begeisterung für die unruhigen Gäste hatte sich merklich abgekühlt, und unter dem Drucke der Mächte, die mit dem Abbruch der Beziehungen zur Eidgenossenschaft drohten, bequemte sich die Regierung, ungeachtet lebhaften Widerspruchs
aus radikalen Kreisen, alle ausländischen Teilnehmer am Savoyerzuge des Landes zu verweisen.
Mazzini, der sich weiterhin versteckt an verschiedenen Orten der Schweiz, eine Zeitlang auch in Grenchen, aufhielt und von da öfters nach Biel kam, wußte hier seine Anhänger für die Herausgabe der Zeitung «La jeune Suisse - Die Junge Schweiz» zu gewinnen. Das fast ausschließlich von Flüchtlingen redigierte Blatt - neben Mazzini und Ernst Schüler lieh ihm namentlich Karl Mathy seine gewandte Feder - erregte Aufsehen. Ganz vortreffliche Artikel über eidgenössische Fragen wechselten ab mit solchen, die in aufreizendem Ton die schweizerische Neutralität als eine feige, verächtliche Maxime hinstellten: Wenn sich ein Volk im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit erhebe, könne die Schweiz nicht stillesitzen. Ihre freiheitliche Staatsform verpflichte sie, den andern Völkern gegen ihre Regierungen zu helfen.
Am 1.Januar 1835 war Bern Vorort geworden. Diese Stellung und die daherige Verantwortlichkeit geboten eine geschmeidigere Haltung gegenüber den erbitterten europäischen Höfen. Hatte man es in offenkundiger Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen geschehen lassen, daß eine bewaffnete Schar fremder Abenteurer aufbrach, um die Regierung eines Nachbarstaates zu stürzen, so sah man sich nun gezwungen, andere Saiten aufzuziehen. Die bisherige Duldung Verdächtiger, das gewährte Asyl mißbrauchender Fremdlinge war mit der Vorortsstellung am wenigsten vereinbar. Nur befliß sich jetzt die bernische Regierung schier zu großer Willfährigkeit gegenüber den fortgesetzten Zumutungen des Auslandes. Mit hartem Zugriff schaffte sie nach einer umfassenden Untersuchung eine ganze Anzahl Flüchtlinge über die Grenze und machte der «jungen Schweiz» durch die Verhaftung des Redaktionspersonals, darunter Ernst Schülers, ein Ende. Dieser hatte nicht lange vorher das Bieler Bürgerrecht erworben, unterhielt aber mit den zahlreichen deutschen Flüchtlingen in Biel und anderswo mancherlei Beziehungen, die nicht ganz grundlos beargwöhnt wurden. Er war an die Spitze des «jungen Deutschland» getreten, einer von deutschen Flüchtlingen in der Schweiz aufgezogenen revolutionären Verbindung, und förderte die Bildung von Arbeitervereinen, in denen oft genug politische Glücksritter ein überspanntes Treiben entfalteten, Von der Anklage wegen Hochverrates wurde Schüler zwar freigesprochen, mußte aber für die Kosten der langen Untersuchungshaft aufkommen.