Eine Wahlkontroverse

Die Verfassung von 1831 verkündete als obersten Grundsatz die Volkssouveränität, das heißt, daß alle Gewalt im Staate der Gesamtheit der Bürger gehört. Dieser demokratische Grundsatz erfuhr jedoch insofern eine starke Einschränkung, als das Volk die Staatsgewalt nicht selbst, sondern durch die von ihm gewählte Vertretung, den Großen Rat, ausübte. Dem Volk blieb einzig das Recht, zu wählen und über die Verfassung abzustimmen. Aber auch dieses Recht war nicht allgemein und gleich. Wer nicht in seiner Burgergemeinde lebte, mußte sich über einen Besitz von 500 Franken ausweisen - für damals ein recht ansehnlicher Betrag - eine Beamtung bekleiden oder Offizier sein oder einen wissenschaftlichen Beruf haben, so daß ein beträchtlicher Teil des Volkes, nämlich alle Habenichtse, vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen waren. Zudem war das Wahlverfahren indirekt. Jede Kirchgemeinde bildete eine Urversammlung, an der die Bürger die Wahlmänner ernannten, auf 100 Seelen einen. Die Wahlmänner eines Amtes traten zur Wahlversammlung zusammen und ernannten die dem Amt nach der Bevölkerungszahl zukommenden Großräte. Daran knüpfte sich nun im Zusammenhang mit den für die Liberalen günstig ausgefallenen Bieler Großratswahlen eine Zeitungsfehde. Der «Berner Volksfreund» veröffentlichte eine ungezeichnete Einsendung, worin die geübten Wahlpraktiken der Liberalen scharf aufs Korn genommen wurden. Man habe in Biel, so hieß es, «leider die traurige Erfahrung machen müssen, daß nicht das Volk, sondern die durch allerlei Mittel aufgeregte Hefe des Volkes samt den Fabrikarbeitern souverän sei ››. Zu der herben Kritik bekannte sich nachträglich kein Geringerer als der in Burgdorf weilende Eduard Bloesch. Obschon der Erneuerungsbewegung zugetan, fühlte er sich, wie übrigens auch sein Bruder Cäsar, von dem Ungestüm der Vorgänge und den Wirren Begleiterscheinungen, die sie in seiner Vaterstadt auslösten, bald abgestoßen. Gegen Bloeschs Kritik wandte sich eine Gruppe Wähler «Der von Nichtbürgern einer Gemeinde erforderliche Wahlzensus von 500 Franken hat sie - die Hefe - sowie die Fabrikarbeiter beinahe alle vom Wahlgang ausgeschlossen, so daß die Anzahl der Aktivbürger sich nur auf 200 belief und ohne jene Ausschließung wohl auf 350 gestiegen wäre. Es haben nur sechs Arbeiter von jener Fabrik, welche man bezeichnen will (gemeint war ein geschäftliches Unternehmen, an dem Charles Neuhaus beteiligt war), ihr Wahlrecht ausgeübt.» Diese Feststellung sollte erweisen, daß Neuhaus seine Wahl in den Großen Rat keineswegs, wie üble Nachrede verbreitete, mit Hilfe seiner Arbeiter betrieben habe. An der Rechtsungleichheit, wodurch die große Mehrzahl der Arbeiter von den Wahlen ausgeschlossen wurde, scheint man auf keinerSeite Anstoß genommen zu haben.