Die Vereinigungsurkunde

Um von seinen mit Nachdruck erhobenen Ansprüchen auf den Aargau und die Waadt nichts zu vergeben, hatte Bern die ihm angebotene Entschädigung durch die Angliederung des Bistums samt Biel zuerst abgelehnt. Die Aufnahme einer nicht nur anderssprachigen, sondern zum Teil auch andersgläubigen und vielfach vernachlässigten Bevölkerung widerstrebte ihm. Wahrscheinlich mehr noch der Tausch des «waadtländischen Weinkellers und des aargauischen Kornspeichers gegen den jurassischen Holzschopf››. Aber schließlich lenkte es ein und gab sich mit der immerhin stattlichen Erweiterung seines Gebiets zufrieden. Für die Schweiz war wichtig, daß dieses Grenzland durch einen starken Kanton im eidgenössischen Verband festgehalten wurde.

Nach der Wiener Erklärung vom 20. März 1815, die unter anderem bestimmte, daß die Einwohner des Bistums Basel und der Stadt Biel in allen bürgerlichen und politischen Rechten den Einwohnern des alten Kantons gleichgestellt werden müßten, blieb die nähere Ordnung des künftigen Verhältnisses einer Kommission vorbehalten, deren 14 Mitglieder zur Hälfte von der bernischen Regierung, zur Hälfte vom Vorort Zürich zu ernennen. waren. Biel hatte in Georg Friedrich Heilmann einen sachkundigen Befürworter.

Die Verhandlungen der Kommission fanden in Biel statt. Am 14. November 1815 wurde die sogenannte Vereinigungsurkunde, die im Art. XX die Beziehungen zwischen dem Stande Bern und der Stadt Biel regelte, von den Kommissaren unterzeichnet. Nach der von Schultheiß, Kleinem und Großem Rat der Stadt und Republik Bern am 23. November gutgeheißenen Urkunde waren Biel, das mit den Dörfern Bözingen, Vingelz und Leubringen eine Kirchgemeinde und einen Gerichtsbezirk bildete, die frühern Munizipalrechte gewährleistet, und es sollte, soweit es sich mit den allgemeinen Staatseinrichtungen und den Gesetzen des Kantons vertrug, die alte Stadtsatzung fernerhin Geltung haben. Für zivilrechtliche Streitsachen wurde der Stadt ein erstinstanzliches Gericht zugestanden, während Strafsachen vor das Amtsgericht gehörten. Ein Chorgericht hatte über Ehesachen und sittliche Verfehlungen im Kirchspiel zu befinden. Der Stadt verblieben Ohmgeld und Zoll sowie das Recht zum Bezuge eines Hintersäßgeldes. Für die Abtretung des Salzhandels an den Kanton hatte dieser die Stadt zu entschädigen.

Am 21. Dezember 1815 vollzog sich in Delsberg die feierliche Vereinigung der «Leberbergischen Ämter» mit dem Kanton Bern. Biel war jetzt bernische Landstadt, der unruhige Übergangszustand zu Ende. Nachdem die neue Ordnung die Billigung sämtlicher eidgenössischer Stände gefunden hatte, stellte der Vorort in einer förmlichen Erklärung fest, daß «einmütigem Willen und Entschluß zufolge» die Vereinigungsurkunde von der Schweizerischen Eidgenossenschaft genehmigt und gewährleistet sei. Mit den der Stadt Biel zuerkannten Sonderrechten, einem schwachen Abglanz einstiger Eigenstaatlichkeit, stand in auffälligem Widerspruch die Verweigerung eines Amtssitzes. Daß den Behörden dafür gestattet war, in Stadtsachen unter Umgehung des Oberamtmannes im Schloß zu Nidau mit der Regierung zu verkehren, gewährte geringen Trost. Dringliche Vorstellungen wurden ausweichend beantwortet. Schließlich kam von Bern der enttäuschende und eher ironisch anmutende Bescheid, daß « aus Achtung für die freundschaftlichen Verhältnisse» der Stadt Biel freigestellt werde, sich für das Oberamt Nidau, für Büren oder für Courtelary zu entscheiden. Man wählte das nahe Nidau. Der Fall war tief und wurde in dem ehemals freien, mit der alten Eidgenossenschaft Verbündeten Stadtstaat bitter empfunden.

Mit dem Einmarsch der alliierten Heere in die Schweiz zerfiel die Mediation, das von Napoleon dem Land auferlegte Verfassungswerk. In einzelnen Kantonen, voran in Bern, wo man den Verlust des Aargaus und der Waadt nicht verschmerzen konnte, rührten sich die Altgesinnten, um zu der Staatsordnung vor 1798 zurückzukehren und die frühern Untertanenländer wieder unter das Joch zu zwingen. Diese Haltung löste namentlich in den zunächst bedrohten Kantonen Aargau und Waadt Besorgnis und Erbitterung aus. Bald standen sich die Parteigänger des Alten und die Anhänger einer neuen Ordnung so unversöhnlich gegenüber, daß nur das Eingreifen der fremden Mächte den Bürgerkrieg verhinderte. Es bedurfte ihres dauernden Druckes, damit endlich ein Bundesvertrag zustande kam, der die 22 Stände zu einer lockeren Staatengemeinschaft fügte. Mit der Rückkehr der Kantone Genf, Neuenburg und Wallis zur Eidgenossenschaft und der Zuteilung der ehemaligen fürstbischöflichen Lande an Bern war der Gebietsumfang der Schweiz festgelegt, mit der Anerkennung und Gewährleistung der schweizerischen Neutralität durch die Großmächte der unverrückbare Grundsatz unserer künftigen Außenpolitik verkündet. «Die sittliche Kraft, die der Eidgenossenschaft gefehlt hatte, um sich zu verteidigen, fehlt ihr auch, um sich eine neue Verfassung zu geben»