Politischer Umschwung

Als der Krieg zu Ende ging, war es um das Bieler Gemeinwesen schlecht bestellt. Zwar vermochte das Geschäftsleben die Lähmung, die es bei Kriegsausbruch befallen hatte, rasch abzuschütteln. Die Uhrmacherei stellte sich auf die Munitionsfabrikation um und erzielte mit den Lieferungen an das kriegführende Ausland ungewöhnliche Gewinne. Statt dies zunutze zu ziehen und die steigenden Ausgaben der Stadt durch angemessene Steuereinschätzungen aufzufangen, beschritt der Gemeinderat den bequemen Weg der Geldaufnahme und häufte Schuld auf Schulden, bis die stutzig gewordenen Banken jedes weitere Darlehen rundweg verweigerten.

Aber die finanziellen Nöte waren noch nicht das Schlimmste. Der Graben, der durch die entgegengesetzte Parteinahme für die im Kriege stehenden Länder zwischen der deutschen und der welschen Schweiz aufgebrochen war und unser Staatswesen erschütterte, ging in Biel mitten durch die Stadt und schuf in der von dem furchtbaren Kriegsgeschehen aufgewühlten Bevölkerung eine wechselseitige Entfremdung, die einträchtiges Handeln zu einer Zeit und unter Umständen in Frage stellte, wo es doppelt nötig war.

Die Gemeindewahlen von 1921 brachten eine Verschiebung zugunsten der Sozialdemokraten. Ihre Führer konnten sich jedoch nicht verhehlen, daß sie keine durch die Parteidoktrin geeinigte Arbeiterschaft hinter sich hatten, sondern daß sie ihren Wahlerfolg hauptsächlich dem durch den Krieg und den Generalstreik verursachten Aufruhr der Gemüter und dem offenkundigen Versagen ihrer Vorgänger im Amte verdankten. Illusionslose Nüchternheit und gesunder Sinn für die Wirklichkeit bewahrte sie vor einer Überschätzung der Möglichkeiten und der Herausstellung sozialistischer Endziele. Sie entsagten dem politischen Chiliasmus und wandten sich den dringenden Gegenwartsaufgaben zu, vor allem der Ordnung des zerrütteten Gemeindehaushalts.

Es war eine böse Erbschaft, die die neuen Behörden antraten, ein über und über verschuldetes, von staatlicher Vormundschaft bedrohtes Gemeinwesen wartete ihnen. Die nach Kriegsschluß um sich greifende Arbeitslosigkeit bestärkte die Bankgläubiger in der Überzeugung, daß der finanzielle Zusammenbruch der Stadt besiegelt sei. Sie wiesen den Gemeinderat mit seinen Kreditbegehren an die Kantonsregierung. Diese beauftragte eine Kommission, die Verhältnisse an Ort und Stelle zu untersuchen. Die Kommission machte sich die Sache einfach: Personal- und Lohnabbau auf der einen, Steuer- und Tariferhöhungen auf der andern Seite. Die Regierung pflichtete der Kommission bei, kümmerte sich aber nicht weiter um die Sache, wahrscheinlich, weil sie bald ihre eigenen Finanzsorgen hatte.

An eine Steuererhöhung war nicht zu denken, die herrschende Wirtschafts- und Arbeitsnot gebot eher das Umgekehrte. Der Steuerzahler war über die an den Tag gekommene Unordnung im Finanz- und Steuerwesen der Stadt zu sehr aufgebracht, als daß er sich ein Anziehen der Steuerschraube gefallen lassen hätte. Das Budgetgleichgewicht mußte in einer Verminderung der Ausgaben gesucht werden, in der öffentlichen Verwaltung eine dornenvolle Aufgabe. Vor allem galt es, die Zügel der Verwaltung, die im Zeichen einer durch Geldmangel gemilderten Verschwendung stand, fest in die Hand zu bekommen. Die Stadt beschäftigte viele überalterte Arbeitskräfte; die Gründung einer Pensionskasse schuf die Voraussetzung für einen schonenden Personalabbau.

Nur durch den Verzicht auf jede nicht unbedingt nötige Ausgabe konnte die wachsende Zahl der Arbeitslosen über Wasser gehalten werden. Im Gegensatz zu «Bern ››, wo man herausgefunden hatte, daß Geldunterstützung billiger zu stehen komme als Arbeitsbeschaffung, legten die Behörden Biels das Gewicht auf nützliche Beschäftigung der Arbeitslosen. Sie machten geltend, daß durch die Notstandsarbeiten bleibende Werte geschaffen werden und daß in den verwendeten Baustoffen ebenfalls Arbeit stecke. Ganz besonders aber fürchteten sie die sittliche Erschlaffung, die den zur Untätigkeit gezwungenen Menschen bedroht. Um die Arbeitslosen vor diesem Schicksal zu bewahren, ordneten sie eine ganze Reihe bedeutender Bauarbeiten an, wodurch eine vernachlässigte und rückständige Stadt wieder ein geordnetes und anständiges Aussehen gewann. Bei diesen Anstrengungen kam den Behörden zu Hilfe der Bau des neuen Bahnhofes verbunden mit der Entstehung eines neuen Quartiers. In der Zeitschrift «Das Werk» zollte Peter Meyer der einheitlichen Gestaltung des Bahnhofquartiers anerkennende Worte: «Wenn man weiß, wie schwer gerade in kleineren Städten sich derartige Regelungen durchführen lassen, wird man dieses Ergebnis als großen Erfolg städtebaulicher Vernunft begrüßen dürfen.» Sogar das von der Hauptpost flankierte hellenisierende Bahnhofgebäude fügt sich willig dem Gesamtbild ein. Zwei bedeutende Bauten, das Hotel « Elite », Absteigequartier und Versammlungsort der sogenannten guten Gesellschaft, und das Volkshaus, wo die Arbeiterbevölkerung verkehrt und ihren politischen Stützpunkt hat, beanspruchten beide in erheblichem Maße die finanzielle Mithilfe der Gemeinde. Sie stehen, die neue Bahnhofstraße abschließend, einander gegenüber und halten gute Nachbarschaft.

Die gegen die Mitte der zwanziger Jahre einsetzende Wiederbelebung der Geschäfte und der Rückgang der Arbeitslosigkeit ermöglichten, den Finanzhaushalt der Stadt eher als gehofft ins Gleichgewicht zu bringen. Die allmählich sich einstellenden Einnahmenüberschüsse erlaubten, die aus den Vorjahren stammenden Defizite abzuschreiben. Die finanzielle Erholung wurde von den Behörden als Hebel für eine planmäßige Bodenpolitik benutzt. Sie suchten sich über die mutmaßliche bauliche Entwicklung der Stadt klar zu werden und richteten danach ihre vorsorglichen Landerwerbungen. Wie wichtig für eine Stadt die Verfügung über Landreserven sein kann, zeigte sich bei dem andauernden Wohnungsmangel. Sie erlaubten der Stadt, den Bau guter und billiger Wohnungen wirksam zu fördern. Aber auch bei der Ansiedlung neuer Industrien gab die Möglichkeit, mit gemeindeeigenemBauland aufzuwarten, vielfach den Ausschlag.

Mit der finanziellen Erholung der Stadt wich die anfängliche Zurückhaltung der Behörden in der Übernahme neuer Aufgaben, wie sie sich in einer Industrie- und Arbeiterstadt namentlich auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge mit Wucht melden. Hier war ein gewaltiger «Nachholbedarf» zu befriedigen, weil es an allem fehlte. In rascher Folge erstand eine Reihe von Wohlfahrtsanstalten. Über den spezifischen Wohlfahrtseinrichtungen wurde auch das Bedürfnis nach körperlicher Betätigung und Erholung nicht vergessen. Davon zeugen die zahlreichen Turn-, Sport-, Spiel- und Ruheplätze.

Aus der Stadt in der Nähe eines Sees eine Stadt am See zu machen, setzten sich die Stadtbehörden zum Ziel mit der Seeufergestaltung, was freilich wegen der massigen Eisenbahndämme, die die Stadt vom See abriegeln, nur unvollkommen zu erreichen war. Der Spaziergänger, der vom Pasquart herkommend hinaustritt auf die Anlagen am See mit ihren Sport-, Spiel- und Ruheplätzen, folgt gern der Uferpromenade, die über eine leicht geschwungene Brücke am Kleinboothafen und der Dampfschiff Lände vorbei zum Strandbad führt, von dem es einst hieß, daß es zwischen Genfer- und Bodensee nicht seinesgleichen habe. lm Zusammenhang mit der Gestaltung des Seeufers erfolgte die Sanierung und Entwicklung der Dampfschiffgesellschaft und die Verlegung ihres Sitzes von Erlach nach Biel.

In den dreißiger Jahren erstand am Platze der alten ausgedienten Anlage ein dem technischen Fortschritt entsprechendes Gaswerk. lm Jahre 1940 sahen sich die Behörden vor ein Entweder-oder gestellt: gänzliche technische Erneuerung der Straßenbahn oder ihre Ersetzung durch den Trolleybus. Die wenig ermutigenden Erfahrungen mit dem starren Verkehrsapparat der Straßenbahn ließen sie den schmiegsamern, den starken Verkehrsschwankungen leichter anzupassenden Trolleybusbetrieb wählen. Damit war Biel die erste Schweizer Stadt, die ganz auf den Trolleybusbetrieb umstellte. Der Um- und Ausbau in Verbindung mit der Einführung des Autobusses auf verkehrsschwachen Linien verhalf der Stadt zu einem vielmaschigen Netz guter Verkehrsverbindungen. Die mit finanzieller Unterstützung der Stadt errichtete Zentralschießanlage gehört zu den schönsten und besten des Landes und hat sich 1948 am Bernischen Kantonalschießen wie 1958 am Eidgenössischen Schützenfest bewährt.

Obschon das Nebeneinander von deutsch und welsch ein Hindernis für die Einheit und Stetigkeit der Kulturentwicklung bildet, blieben trotz der Ungunst der Zeit die Kulturaufgaben nicht vergessen. Im Sommer 1929 und in den nachfolgenden Jahren wurde das im alten Zeughaus untergebrachte Theater umgebaut und erweitert, wobei nach sachverständigem Urteil «aus den verzwickten Verhältnissen das Letzte herausgeholt» wurde. Mit der Gründung des Städtebundtheaters Biel Solothurn hob sich unter der Leitung von Leo Delsen die vorher ziemlich fragwürdige Bühne zu einer anerkannten Stätte mimischer Kunst. - Im Postneubau am Neumarktplatz wurden der Stadtbibliothek gut eingerichtete Räume mit einem Lesesaal zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig erfuhren die Buchbestände eine merkbare Bereicherung. - Biel war nie ein bevorzugtes Absteigequartier der Musen. Das Bieler Klima scheint den hohen Frauen nicht zu behagen. Mit einer Ausnahme: Von jeher sind Musik und Gesang mit Fleiß und Eifer erfolgreich gepflegt worden, welche Betätigung 1932 in der Städtischen Musikschule ihre Krönung fand. Unter der schöpferischen Leitung von Wilhelm Arbenz gewann die Schule rasch Anerkennung und Ansehen. Bedeutende musikalische Ereignisse bilden die von der Musikgesellschaft betreuten, mit guten auswärtigen Orchestern veranstaltetenAbonnementskonzerte. Ein Glanz- und Höhepunkt war das Tonkünstlerfest im September 1940. - Durch das großherzige Vermächtnis von Oberst Friedrich Schwab war Biel in den Besitz einer ur- und frühgeschichtlichen Sammlung gelangt, die ihresgleichen sucht und Fundstücke von europäischer Bedeutung enthält. Die kostbare Sammlung war jahrzehntelang in einem einzigen Saale zusammengedrängt und in Kisten und Kasten verstaut; die Aufstellung entsprach in keiner Weise dem wissenschaftlichen Wert der Gegenstände. lndem der Gemeinderat beschloß, das alte Museumsgebäude im Pasquart ganz der Sammlung zu widmen und zu dem Zwecke von Grund auf umgestalten und einrichten ließ, sorgte er für eine Anordnung und Neuaufstellung, die dem Beschauer das Verständnis für die einzelnen Fundgegenstände und Fundorte vermittelt und so dem Laien und dem Gelehrten dient. - Als ein Fehlsehlag stellte sich der dem Gemeinderat von einem bekannten stadtbernischen Kunstfreund als einzigartige Gelegenheit empfohlene Ankauf einerSammlung von hundertfünfzig angeblich von Schweizer Malern des 17. Und 18. Jahrhunderts stammenden Bildern heraus. Bei genauer Prüfung der einzelnen Bilder entpuppte sich der vielgepriesene Schatz als ein Sammelsurium von minderwertigen Erzeugnissen, die vom Verkäufer unter honorierter Assistenz eines angesehenen Fach- und Gewährsmannes willkürlich SchweizerMalern der beiden Jahrhunderte zugeschrieben worden waren. Die Erwerbung wurde den gutgläubigen Bielern noch besonders schmackhaft gemacht durch die Zusicherung des Berner Kunstfreundes, ihnen als Seitenstück zu den alten Bildern seine wertvolle Sammlung abstrakter Malerei zu überlassen, womit die Stadt Biel auf einen Schlag in die Reihe schweizerischer Kunststätten aufrücken werde - eine Zusage, die zurückgezogen wurde, als der Schwindelmit den «alten Meistern schweizerischer Malerei» zutage lag. - Durch Stiftung eines Kunst- und Kulturpreises sollen Werke der Literatur und Leistungen auf dem Gebiete der Musik und der bildenden Künste ausgezeichnet werden.

 

 

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