Die altkatolische Bewegung
Das vatikanische Konzil von 1870, das den Papst für unfehlbar erklärte, blieb nicht ohne Rückwirkungen auf die Schweiz. Es bildeten sich eine Anzahl altkatholischer Kirchgemeinden. Als der Bischof Lachat die altkatholischen Geistlichen absetzen wollte, wurde er von den Kantonsregierungen des Bistumsverbandes seines Amtes enthoben. Gegen dieses Vorgehen verwahrten sich 97 Geistliche des Juras, der Heimat Lachats, worauf die bernische Regierung kurzerhand mit ihrer Absetzung antwortete. Als Kundgebung gegen diese Maßnahme unternahmen 15‘000 Jurassier eine Wallfahrt nach Mariastein, und die römisch-katholischen Pfarrer fuhren fort, ihren Gottesdienst in privaten Häusern und Scheunen abzuhalten. Als Unruhen ausbrachen, schickte die Regierung Truppen nach dem Jura und wies die römischen Geistlichen aus.
Das von der Regierung 1874 zur Abstimmung gebrachte neue Kirchengesetz, das die Pfarrwahlen durch die Kirchgemeinden und die Bildung von Synoden vorschrieb, wurde bei außerordentlicher Beteiligung mit fast 70‘000 gegen 17‘000 Stimmen angenommen. In Biel wurden für das Gesetz 2266, dagegen nur 48 Stimmen abgegeben. Hier bildete sich ein freisinniger altkatholischer Verein, der auf die Absetzung des römischgesinnten Pfarrers Jecker drängte. Anlaß dazu bot sich, als Jecker gemeinsam mit den katholischen Geistlichen des Juras gegen die Amtsenthebung des Bischofs Lachat protestierte und der staatlichen Gewalt den Gehorsam verweigerte. Der Regierungsstatthalter eröffnete dem widerspenstigen Pfarrer die von der Regierung verfügte Einstellung im Amt und nahm ihm die Zivilstandsregister ab.
Eine regierungsrätliche Verordnung untersagte den abberufenen Geistlichen jede pfarramtliche Tätigkeit. Die Regierung ernannte nun im Einvernehmen mit dem altkatholischen Verein zum katholischen Pfarrer von Biel einen französischen Geistlichen, der zum Altkatholizismus übergetreten war. Zu gleicher Zeit und im Gegensatz zu diesem Vorgehen konstituierte sich eine freie römisch-katholische Pfarrgenossenschaft und wählte einen neuen Kirchgemeinderat. Um seiner Pfarrei nahe zu sein, ging der ausgewiesene Pfarrer Jecker nach Landeron, von wo er im geheimen nach Biel kam, um zu früher Morgenstunde in dem ihm gehörenden Haus neben der Kirche die Messe zu lesen.
Von den Gläubigern wegen noch ausstehender, vom Kirchenbau herrührender Schulden betrieben, wußte sich die altkatholische Kirchgemeinde nicht anders zu helfen, als die neu erbaute Kirche um die auf ihr haftende Schuldsumme von 15‘000 Franken der Stadtgemeinde zum Kauf anzubieten, die trotz den unabgeklärten Eigentumsverhältnissen darauf einging. Die von der römisch-katholischen Pfarrgenossenschaft gegen den fragwürdigen Handel erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Pfarrer Jecker war nach der Aufhebung der verfassungswidrigen Ausweisung wieder nach Biel zurückgekehrt und betrieb sofort den Bau einer kleinen Notkirche auf dem zwischen der nunmehr altkatholischen Kirche und seinem Haus gelegenen Grundstück. Die höchst einfach und kunstlos eingerichtete Kapelle war wie das vom Pfarrer bewohnte Haus Privateigentum Jeckers, der an der Hoffnung, einst wieder in seine frühere Kirche einzuziehen, festhielt. Diese Hoffnung sollte sich erfüllen.
In der Verfassung von 1893 waren neben der evangelisch-reformierten auch die römisch-katholische und die christ-katholische Kirche als Landeskirchen anerkannt. Aber erst im Jahre 1898 wurde durch Großratsbeschluß die römisch-katholische Kirchgemeinde Biel bestätigt, worauf die Kirchgemeindeversammlung Pfarrer Jecker einstimmig zu ihrem Seelsorger wählte. 1908 kam nach mühseligen Verhandlungen mit der Stadt als Eigentümerin der Kirche und der altkatholischen Kirchgemeinde ein Vertrag zustande, wonach die ziemlich verwahrloste Kirche gegen eine an die Altkatholiken zu zahlende Entschädigung von 50‘000 Franken wieder in den Besitz der römisch-katholischen Kirchgemeinde gelangte.
Die altkatholische Bewegung hatte sich gegen die römisch-katholische Kirche nicht durchsetzen können, hauptsächlich wegen der weitverbreiteten Gleichgültigkeit in religiösen Dingen. Die freisinnigen Katholiken, die sich aus politischen Gründen für den Altkatholizismus ausgesprochen hatten, nahmen daran so wenig innern Anteil als vorher an der römisch-katholischen Lehre. So gelang es den römischen Katholiken, im Jura manchen verlornen Posten zurückzuerobern, indem die altkatholischen Pfarrer und Kirchenräte weggewählt und durch römisch-katholische ersetzt wurden.