Der Neuenburger Handel 1856/57
Die unnatürliche Doppelstellung Neuenburgs als eines Fürstentums des Königs von Preußen und eines Standes der Schweizerischen Eidgenossenschaft drängte auf eine Bereinigung. Diese Aufgabe übernahm die revolutionäre Erhebung von 1848, indem sie dem Kanton zu einer republikanischen Verfassung verhalf und damit das Verhältnis zum preußischen König tatsächlich löste. Dem militärischen Führer der Republikaner, Major Fritz Courvoisier, der längere Zeit in Biel wohnte, verlieh die Stadt das Bürgerrecht. Aber weder der König noch seine zahlreichen treuen Anhänger im Kanton waren geneigt, sich in diese Tatsache zu schicken. In einer dunklen Nacht gelang es den Royalisten, das Schloß Neuenburg zu besetzen und mehrere Mitglieder der Regierung gefangen zunehmen. Die überrumpelte Stadt erfuhr durch Maueranschlag davon. Doch sofort setzte die Gcgenbewegung der rasch besammelten Republikaner ein. Sie bemächtigten sich der Hauptstadt und stürmten das Schloß. Obschon sich die Aufständigen nicht ernstlich wehrten, wurden einige getötet und die übrigen, in der Zahl von etlichen Hunderten, verhaftet. König Friedrich Wilhelm, der nicht gesonnen war, seine verbrieften Rechte auf Neuenburg preiszugeben, glaubte den Handstreich der Royalisten benutzen zu können, um das Land wieder in seine Gewalt zu bekommen. Vorerst verlangte er vom Bundespräsidenten die sofortige Freilassung der Gefangenen, was Stampfli rundweg verweigerte. Die Schweiz wollte ihr wertvolles Pfand nicht ohne vorherigen Verzicht des Königs auf seine Ansprüche fahrenlassen. In seiner Haltung wurde der Bundesrat durch England bestärkt und unterstützt.
Preußen brach die diplomatischen Beziehungen zur Schweiz ab und beschloß die Mobilisation von 160‘000 Mann, die zum Marsch gegen die Schweiz und zur Besetzung von Basel und Schaffhausen bestimmt waren. Unverzüglich traf der Bundesrat die nötigen militärischen Maßnahmen und bot, um dem Angriff zuvorzukommen, zwei Divisionen auf. Jetzt erfaßte eine starke vaterländische Begeisterung das ganze Volk. In allen Kantonen bildeten nicht eingeteilte, aber diensttaugliche Männer Freikorps. Die Zahl der Freiwilligen verdoppelte fast den Bestand der regulären Truppen. Die Schweiz erlebte eine nationale Erhebung wie in den großen Zeiten der alten Eidgenossenschaft. Die Bundesversammlung wählte General Dufour zum Oberbefehlshaber.
In Biel hatte die Nachricht vom Royalistenputsch eine gewaltige Aufregung verursacht. Neben zahlreichen Ungeduldigen, die sofort und auf eigene Faust bewaffnet auszogen, bildete sich ein ansehnliches Freikorps. Ein Aufruf der Berner Regierung forderte die gesamte waffenfähige Mannschaft auf, sich unverweilt bereit zu halten, um beim ersten Wink zu marschieren. Biel und Bözingen waren mit eidgenössischen Truppen belegt.
Die entschlossene Haltung der Schweiz, die sich wie ein Mann zur militärischen Abwehr erhoben hatte, machte im Ausland Eindruck. Die europäischen Mächte wollten es nicht zu einem Krieg kommen lassen und suchten zu vermitteln. Gegen die Zusicherung des völligen Verzichts des preußischen Königs auf seine Ansprüche gab der Bundesrat die Gefangenen frei und verfügte bald darauf die Entlassung der aufgebotenen Truppen.