Biel wird französisch

«Alles Leben, das stillstehen will, wird überwältigt vom Leben, das fortschreitet. »

In Biel erkannte man die Sturmzeichen der Französischen Revolution so wenig wie in der übrigen Eidgenossenschaft. Jedenfalls wurde nichts Ernsthaftes unternommen, um dem heraufziehenden Unwetter zu begegnen. Die Regenten fanden nach keiner Seite hin die Kraft zum Handeln, weder zu einer innern politischen Reform noch zu entschlossenem Widerstand. Wenn es zutrifft, daß ein Staat nur durch die Kräfte erhalten wird, die ihn schufen, so war das Urteil über den Freistaat Biel gesprochen und sein Fall besiegelt, bevor die französischen Truppen einmarschierten.

Zwar wußten einige Ratsherren die besondere Gunst des französischen Geschäftsträgers Barthélemy zu gewinnen, indem sie ihn mit vertraulichen Nachrichten aus der Eidgenossenschaft, namentlich über Bern, bedienten und der Sympathie für das revolutionäre Frankreich versicherten, obschon das kaum ihrer wahren Gesinnung entsprach. Der vermittelnden Haltung Barthélemys, der für die in jenem Zeitpunkt übrigens auch für Frankreich vorteilhafte Neutralität der Schweiz wirkte, ist es hauptsächlich zuzuschreiben, daß die im April 1792 in das Bistum eingedrungenen französischen Truppen das Münstertal und das St. Immertal als eidgenössisches Gebiet anerkannten und vorerst noch verschonten. In Paris war der Angriff auf die Pierre Pertuis bereits beschlossen, als die Bieler zu Verhandlungen mit den Franzosen nach Delsberg eingeladen wurden. Im Gefühl, zu hoher Sendung berufen zu sein, reisten Bürgermeister Abraham Alexander Moser und Stadtschreiber Franz Alexander Neuhaus sogleich dorthin ab. Vor den französischen Kommissären sparten sie nicht mit Glüekwünschen zu den Erfolgen der Revolution und äußerten sogar die Hoffnung, daß die Schweiz dem Beispiel Frankreichs folgen werde. In der am 27. August getroffenen Vereinbarung erlangten sie denn auch die Zusicherung, daß die französischen Truppen das Münstertal und den Durchpaß der Pierre Pertuis nicht besetzen werden. Dagegen verfügte das eigenmächtige Abkommen, auf das sich unsere Bieler nicht wenig zugute taten, den Rückzug der herbeigerufenen bernischen Hilfstruppen, was den Unwillen Berns erregte und Biel einen Tadel der Tagsatzung eintrug. Hinwieder schmeichelte ihm, daß die Tagsatzung das Begehren Berns, die Eidgenossenschaft solle den Schutz des südlichen Juras übernehmen, ablehnte, im Vertrauen, daß Biel das Nötige vorkehren werde. Wie wenig das Vertrauen gerechtfertigt war, sollte die Folge lehren. Auch die Bieler mußten erfahren, daß ein Eroberer sein Wort nur so lange hält, als ihm und seinen Zwecken nützlich ist.

Der vor den Franzosen nach Biel geflohene Bischof verließ Anfang Dezember seine Lande und ging nach Konstanz. Damit war selbst der Schatten der fürstbischöflichen Souveränität von der Stadt genommen. Jetzt glaubte Biel, der Zeitpunkt zur Ausdehnung seiner engen Gebietsgrenzen durch die Angliederung des Erguels sei gekommen. In kurzsichtiger Verblendung erhoffte es die Erfüllung seines Wunsches von Frankreich, während es Bern mißtraute. Obwohl die Häupter der Stadt, wie sich bei den Verhandlungen mit den Abgeordneten der erguelischen Gemeinden zeigte, nicht im geringsten gesonnen waren, an der überkommenen aristokratischen Ordnung rütteln zu lassen, huldigten sei bei jeder Gelegenheit der großen Nachbarrepublik. Bürgermeister Moser ging in der Zweideutigkeit so weit, daß er zu Barthélemy sagte, es würde Biel schmeicheln, ein Glied des französischen Staates zu werden, wenn nicht die Natur sich dem mit drei Bergketten widersetzte. Weil die von der Revolutionsluft erregten Talbewohner nur als Gleichberechtigte in eine Vereinigung einwilligen wollten, die Bieler aber auf der Vorherrschaft der Stadt beharrten, zogen sich die Verhandlungen jahrelang ergebnislos hin. Wie cdann angesichts der immer unverhehlter zutage tretenden Annexionsgelüste Frankreichs die Stadtherren sich endlich zum Einlenken bequemten, war es zu spät - der Einmarsch der Franzosen enthob sie weiterer Verhandlungen.

Als im Sommer 1796 die französischen Heere auf allen Fronten siegreich vordrangen, wurde man in Biel nachdenklich und erwog die Gefahr, mitsamt dem Südjura an Frankreich zu fallen. Man fand es ratsam, einen Gesandten nach Paris zu schicken, um zu erfahren, was dem in die schweizerische Neutralität einbezogenen Gebiete des Juras wartete. Mit der wichtigen Mission wurde Stadtschreiber Neuhaus betraut. Dieser kannte Frankreich, da er früher als Professor an der medizinischen Schule in Nantes gelehrt hatte. Vom Direktorium zwar mit den Ehrenbezeugungen empfangen, wie sie den Vertretern fremder Mächte zukamen, mußte Neuhaus sich doch bald überzeugen, daß Frankreich als Rechtsnachfolger des Fürstbischofs den ganzen Jura beanspruchte.

Mitte November 1796 erließ das Direktorium den Befehl, den Südjura zu besetzen. Damit stellte es den Kongreß von Rastatt, dem die Entscheidung über das Fürstentum vorbehalten war, vor eine vollendete Tatsache. General Gouvion Saint-Cyr rückte am l4. Dezember ins Münstertal ein und überzog in den nächsten Tagen den ganzen Südjura, Biel ausgenommen. Nach Münster zu Gouvion geschickte Abgeordnete erhielten von ihm den Bescheid, daß Frankreich nun in Biel die bischöflichen Rechte ausübe. Kraft dessen setze er den Meyer ab und ernenne an seiner Stelle den Assignateninspektor Bresson, der sich in amtlicher Eigenschaft in Biel auf hielt. Ein letzter Rettungsversuch schlug fehl: der noch einmal nach Paris gesandte Stadtschreiber Neuhaus, der dem Direktorium die «ehrerbietigen Vorstellungen» der Räte und Bürger überreichen sollte, wurde gar nicht empfangen, aufs schnödeste behandelt und nach mehrtägiger Haft ausgewiesen. Das war die Quittung für die gegenüber dem revolutionären Frankreich geübte Dienstbeflissenheit. Der Umsturz lauerte jetzt in den eigenen Mauern und führte kecke Reden gegen den Rat.

Die Leute, die die Oberschicht nach dem Beispiel der Pariser Revolutionsmänner beseitigen wollten, gebärdeten sich immer lauter. Den Bielern, die in Bern lange Zeit den Gegner ihrer Ausdehnungsgelüste nach dem Südjura gesehen und Anlehnung an Frankreich gesucht hatten, gingen endlich die Augen auf. In ihrer Not erinnerten sie sich wieder Berns und erflehten von ihm Hilfe. Doch Bern blieb ungerührt. Die dort herrschende Verwirrung und Unentschlossenheit verhinderte jeden kraftvollen Gegenschlag. Man schien die strategische Bedeutung des Einmarsches der Franzosen in die Täler des Südjuras und der nachfolgenden Besetzung der Stadt Biel nicht erkannt zu haben.

In hilfloser Schwäche harrten der Rat und die unter dem zersetzenden Einfluss der französischen Revolutionspropaganda in Gärung geratene Bürgerschaft des Verhängnisses. Ohne den geringsten Versuch einer Gegenwehr ergab sich die Stadt den am 6. Februar unter General Gouvion durch das Obertor einziehenden Franzosen. Am folgenden Tag versammelten sich auf Verlangen des Meyers Bresson der Kleine und der Große Rat, um unter den französischen Bajonetten die Vereinigung Biels mit der «Fränkischen Republik» zu beschließen. Nachdem der Beschluß noch die Zustimmung der Zünfte und auch der Gemeinden Bözingen, Leubringen und Vingelz erhalten hatte, wurde er als «Ausdruck des freien Willens der gesamten Bürgerschaft» dem Direktorium in Paris zur Kenntnis gebracht. Jäh und unrühmlich ging die morsch und zeitwidrig gewordene Kleinstaatherrlichkeit unter. Das alte, freie Biel war französische Untertanenstadt geworden und diente jetzt als Waffenplatz und Ausfallstor gegen seine alten Verbündeten.

Dafür prangte an allen Straßenecken eine Proklamation des französischen Kommissärs, darin den Bielern verkündet wurde, daß die Fesseln ihrer Knechtschaft zerbrechen, die mit häßlicher Tyrannei gepaarte priesterliche Allgewalt mitsamt den Zehnten und Frondiensten beseitigt, kurz, daß sie nun endlich Menschen geworden, freie und gleiche, deren Lebensbedürfnisse durch die Kornspeicher der großen Republik gesichert seien. «Erkennet das euch dargebotene Glück. . . »

Begierig wurde der Anschlag gelesen, gläubig wurde er aufgenommen. Jubel und Juhe erfüllte die Gassen - die wenigsten dachten daran, daß sie niemals Frondienste getan noch etwas von priesterlicher Allgewalt verspürt hatten und daß die gerühmten französischen Kornspeicher leer waren wie die Kassen. Wer solches überlegte, tat klug, es zu verschweigen, wenn er nicht ein Feind der Freiheit gescholten und verfolgt werden wollte. Mit der Aufrichtung eines Freiheitsbaumes auf der Burg empfing das angebrochene Reich französischer Freiheit und Gleichheit seine Weihe, wobei Tanz und Gelage bis in die tiefe Nacht dauerten.