GESCHICHTE UND RECHT.

Markstein – Literatur

Indem wir nachstehende Mittheilung mit Vergnügen empfangen, können wir nicht umhin zu bemerken, dass die darin enthaltene verdankenswerthe Anregung nicht allein auf Denkmäler des Mittelalters, wie Obiges zeigt, lehrreiche Anwendung findet, sondern auch auf diejenigen der frühesten bekannten Landesgeschichte. Auch die Epoche römischer Herrschaft in Helvetien hat ihre sorgfältiger Beachtung werthen Marksteine hinterlassen. Vergl. z. B. Mommsen, lnscript. Confoed. helvet. Latinae. Nr. 266.

Es gibt zwar. so viel uns bekannt, keine solche Literatur, und insofern wäre der Titel nicht gerechtfertigt. Es hätte aber eine geben können und es wäre zu wünschen, dass es eine gäbe, und insofern kann man die Aufschrift wohl gelten lassen. Die Marksteine können jedenfalls so gut als manche andere Steine und mehr als viele andere Dinge von mannigfachem Interesse und Bedeutung sein und sind es wirklich und zwar nicht nur in Bezug auf jenes kalte Wort des Mein und Dein, sondern vorzüglich auch in Bezug auf Alterthum, Heraldik, Geschichte und selbst auch Kunst. Marksteine sind Urkunden wie Siegel und Briefe, sie sind Urkunden und Siegel zugleich. Gar oft sogar, wo die Pergamente nicht mehr sprechen, reden die Steine, und wo jene unklar sprechen, werden sie von diesen gedeutet. Ueberdies bieten die Marksteine noch manche andere geschichtliche Beziehungen dar, z. B. zu verschiedenen kirchlichen und bürgerlichen Gebräuchen und Instituten.
Wir haben hier aber vorzüglich das Urkundliche derselben im Auge, und sehen, wenigstens einstweilen, über alles Andere weg.

Da geht es aber dem Geschichtsfreunde leider wie in allen andern historischen Gebieten; er wird erst aufmerksam und fängt erst an zu forschen und zu sammeln, wenn es so zu sagen zu spät ist. Denn leider sind die alten bedeutungsvollen Marksteine grösstentheils verschwunden. Was der nagende Zahn der Zeit noch verschonte, hat Unwissenheit oder geometrischer Kaltsinn, oder fanatischer Vandalismus, besonders zur Zeit der grossen französischen Revolution, zerstört oder verstümmelt.
Denn in dieser mussten alle alten Wappen, wo selbe sich zeigten, ordnungsgemäss abgeschlagen werden. Wenn indes unsere Feldmesser eben so sehr Historiker als Mathematiker wären, wie viele historische Denksteine hätten sie theils verschonen, theils wenigstens in den Markbeschreibungen notiren können. Gegen alte, oft sehr wichtige Benennungen waren sie aber eben so gefühllos. Man findet auf Plänen, die ungemein sorgfältig gemacht sind, auf allerlei, sei es in Darstellung oder Vermessung. Rücksicht genommen, aber keine alte Benennung oder Beziehung, nicht einmal den Dorf-Etter, findet man darauf. So werden nach und nach die alten örtlichen und oft selbst allgemeinen Urkunden geradezu unverständlich und sind es grösstentheils jetzt schon. Doch wir haben uns vorgenommen von den Marksteinen zu reden. Da bietet uns eine kleine Strecke der nordwestlichen Grenze der Schweiz gegen das Elsass reichhaltigen Stoff dar, allein der beschränkte Raum dieser Blätter gestattet uns nicht, den ganzen Vorrath des gesammelten Materials auseinander zu legen, sondern nur einiges Hauptsächliches zu geben.
Kommt da der historische Wanderer an die Marken von Burg oder Burgthal, so sieht er auf neugesetzten oder ältern etwas umgeschaffenen Marksteinen am Wege oder auf offener Flur einerseits den Bären, andererseits die französische Lilie oder das Wappen von Solothurn. Da macht er sich den richtigen Schluss. er sei an der Grenze des bernerschen Jura und daher des alten Fürstbisthums von Basel.
Verfolgt er aber die Marklinie, z. B. auf Solothurnischer Seite bis in das Dickicht und auf die Höhe des Blauen, so erheben sich vor seinen Blicken auf dem langen nackten Rücken der Kallhöhe 1) zwischen Klein-Lützel und Burg eine Reihe alter und starker Steine, auf welchen er mittagwärts das Wappen von Solothurn erblickt. Stellt er sich aber auf die entgegengesetzte Seite, was sieht er? Keineswegs das fürstbischöfliche Wappen, das sonst an den Grenzen des ehemaligen Fürstbisthums steht, sondern das Wappen der Freiherrn von Wessenberg mit dem Querbalken zwischen drei Kugeln durchgezogen. Das führt ihn zum Schlusse, dass Burg eine Herrschaft der Wessenberge und der Bischof nur der Lehensherr (Suzerain) war. Geht er der Marklinie weiter abendwärts nach, bis sie auf dem Signalfelsen am

1) Kall wird auch sonst in Eigennamen vieler Berge und Sennhöfe des basler, solothurner und berner Jura gebraucht: Kallenflue bei Eptingen; Kallenberg, wäre s. v. a.: Chaumont, französisch Chaux, Cha in gar vielen Burg- und Ortsnamen Neuenburgs und des nahen Frankreichs: so in La Chaux (- du milieu, da Brévine weiter aufwärts im Thale einst auch Chaux hiess, - de Fonds), Chauvelier oder Chavelier, am linken Doubsufer; Chapelle sur Chaux bei Béfort, verdeutscht Kapeltscha. Chaux ist das lateinische calvum, kahl, entweder kahler Fels oder urbar gemachter Boden. Vgl. die Urkunde vom Jahr 1310 No. 325 in Matile Monuments de l`hist. de Neuchatel 1844, calvum in letzterm Sinne: Cum discordia verteretur . . . super calvo de Escoblon (Chaux d'Ecublon) et pratis ejusdem calvi . . _ quod calvum et que prata Amadeus . . . dederat. Dagegen in der Urkunde vom Jahr 1151 No.16: Matten genempt le Chauld; und Note dazu: pratum quod vulgo Calcina dicitur.

Rommel gegen Norden sich wendet und die Grenzen gegen Frankreich bildet, so sieht er auf ältern noch unversehrten Steinen einerseits das gleiche Wappen von Wassenberg, anderwärts wohl die aufgehauene Lilie. aber darunter das noch ganze oder beschädigte Wappen von Pfirdt mit den zwei rückwärts aneinander stossenden Fischen. Das muss ihn auf den richtigen Gedanken führen, dass er an der Grenze der ehemaligen Grafschat Pfirdt stehe.

Lasst uns nun den Wanderer an die solothurnische Grenze gegen das französische Oltingen stellen. Da gewahrt er auf allen alten Steinen durch den Wald auf der französischen Seite nebst der aufgehauenen Lilie zu oberst in der Mitte oder unten ein altes abgeschlagenes Wappen, dessen Zeichen nicht mehr zu erkennen, bis zum dreibännigen Steine unfern St. Brikzi; da ist auf dem ältern Steine das grösstentheils abgebröckelte Wappen auf der dritten Seite gegen Liebensviler, dessen Grenzen hier anfangen, als dasjenige von Wessenberg noch ziemlich deutlich zu erkennen, dessen Spuren auf allen alten Steinen um den Bann von Liebensviler herum mehr oder minder sich zeigen. Diese Beobachtung lässt uns zwar in Bezug auf Oltingen im Ungewissen, lehrt uns aber, dass Liebensviler ebenfalls wie Burg, obschon in einem andern Lande, zur Herrschaft derer von Wessenberg gehörte.
Verfolgen wir aber die Schweizergrenze um den weitschichtigen Bann von Leimen herum, so finden wir auf der französischen Seite oberhalb die französischen Lilien, wo sie abgeschlagen waren, wie anderwärts, wieder aufgehauen. unten daran das abgeschlagene oder (nämlich an minder offenen Stellen) noch erhaltene Wappen derer von Reichenstein und unter diesem, bald rechts, bald links, bald in der Mitte, das etwas seltsame Wappen von Leimen. Ist diese Marklinie neben Roderstorf vorbei südwärts durch den Wald auf der Höhe an der Grenze von Metzerlen angelangt, so verschwindet da, wo die Gelände des sogenannten Tannwaldes angrenzen, das Wappen von Leimen. lst aber dann später wieder nordwärts die Marklinie an den Schlossberg von Landskron gekommen, so verschwindet auch das Wappen von Reichenstein. Unter dem Berge aber kommen bald wieder alle frühern Wappen zum Vorschein. Von der Höhe am Metzerlen-Bann aber zieht von dem Punkte an, wo das Leimen-Wappen. wie wir gesehen, verschwand, eine andere
Reihe von kleinem Marksteinen zwischen dem Gute des Tannwaldes und dem Walde hinunter und um diesen hierorts herum, welche auf der Seite gegen den Wald nur das Wappen von Leimen und auf der andern nur dasjenige von Reichenstein tragen.
Durch die beschriebenen Marksteine werden wir nun über mancherlei belehrt; nämlich: die Herren von Reichenstein waren Bannherren von Leimen, aber ausschliessliche Eigenthümer des Herrschaftsgutes im Tannwalde. das sonst zum Schloss Landskron gehörte, die Krone von Frankreich aber unmittelbare Eigenthümerin jenes Theiles des Landskronberges, auf welchem das befestigte Schloss mit seinen Redout gestanden. das nach dem Schwedenkriege eben die von Reichenstein an den König von Frankreich mittelst einer Entschädigung abtreten mussten; - endlich vielleicht noch das, dass die von Leimen vielleicht mehr als die von Liebensviler und von Burg zu bedeuten hatten, weil auch ihr Wappen überhaupt auf den Bannsteinen unter dem von Reichenstein steht, was bei Liebensviler und Burg der Fall nicht ist. Vielleicht hat aber das sogenannte Leimen-Wappen eine weitere Bedeutung, welche erst noch zu erforschen wäre.

Mitten in den erstgenannten Waldungen erhebt sich auf einem sich aufthürmenden Felsen die Burgruine von Waldeck, rings herum von einem ansehnlichen Bezirke von Wiesen, Weid und Waldung umgeben und mit Steinen abgegrenzt, welche ebenfalls auf der Seite gegen Waldeck das Wappen von Reichenstein, sowie auf der andern das von Leimen tragen. Es waren also die von Reichenstein auch Eigenthümer von Waldeck und dessen Bezirk. Schaut man endlich vom Burgstalle
Reineck auf dem westlichen Ende des bogenartigen Rückens des Landskronberges südwärts in den oft berührten Wald von Leimen herüber, so bemerkt man einen schon natürlich sich ausscheidenden Theil dieses Waldes. der jetzt Partikulargut ist; auch diesen Theil umzieht eine Marklinie, deren Steine gegen den ausgeschiedenen Theil das Wappen von Reichenstein tragen, sowie auf der andern Seite das von Leimen, was zu der Vermuthung Anlass gibt, dass dieser Theil vielleicht zu der Burg Reineck und beide den ehemaligen Herrn von Reichenstein gehörten. -- Zu bemerken ist noch, dass in den genannten Grenzlinien im Wald zwischen Hoderstorf und Oltingen und im Wald zwischen Roderstorf und Leimen einige sehr alte Steine eine solche Form oder Richtung haben, dass sie nebst der allgemeinen Grenzrichtung noch besondere Abstecher in unsere Grenze hinein zu beurkunden scheinen. deren Gegensteine und Bedeutung aber noch zu suchen wären. Vielleicht, dass sie gewisse Gwidem oder Domainen in unsere Grenzen hinüber angedeutet und ausgeschieden hatten.

Lasst uns für jetzt das Fernere übergehen und uns alsobald auf den äussersten 
Theil unserer Grenze zwischen Baselland und Frankreich bei Allschwil 2) begeben.
Gehen wir da der Marklinie nach und um den Bann von Hägenheim 2) herum, so finden wir da an geborgenen Stellen auf den alten noch unversehrten Marksteinen gegen
letztgenannten Bann das Wappen der ehemaligen Herren von Berenfels, deren alte Burgruinen oberhalb dem Schloss Angenstein bei Tuggingen sich befinden, und werden dadurch richtig belehrt, dass Hägenheim. und zwar vor noch nicht gar langer Zeit, den Herren von Berenfels gehörte. Doch an diesem sei, wenigstens einstweilen genug, um zu zeigen, dass Marksteine oft von historischer Bedeutung und interessante Urkunden sind.