Ueber den Einbaum

Es ist auffallend, dass weder aus den Chroniken unsers Landes, noch aus alten Schiffer- oder Fischerordnungen u. s. w. sich genauere Angaben über die ältesten Fahrzeuge auf unsern Seen erheben lassen, und dass bisher niemand es der Mühe Werth achtete, über einen culturhistorisch so interessanten Gegenstand wie die Schifffahrt auf unsern Seen und Flüssen, die in den letzten Jahrzehenden eine bedeutende Umgestaltung erfahren hat, allfällige Notizen, die aus Urkunden und aus dem Kunde alter Schiffer entnommen werden können, zusammenzustellen und eine Skizze der Geschichte unserer einheimischen Schiffahrt zu entwerfen.

So viel ist sicher, dass das Mittelalter nur drei Formen von Fahrzeugen kannte, nämlich den Nauen, den Weidling und den Einbaum, wie z. B. aus dem im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts niedergeschriebenen Hofrecht von Wyden bei Wangen am obern Zürchersee hervorgeht, worin es heisst: „Ein ferr (Fährmann) soll han ein Weidling der 16 man müg getragen, er soll auch han ein Newen, aber soll er han ein Tannen.“ Tanne ist ein Einbaum, der anstatt aus einem Eichen aus einem Tannenbaum verfertigt wurde (siehe Wurstisen Basler Chronik SI 414). ,

Von diesen drei Arten von Schiffen war der Nauen (navis) das grösste und zum Transport schwerer Lasten bestimmt. Es ist ein kielloses Boot, vorn und hinten breit, ziemlich rectangular, aus vielen Brettern kunstlos zusammengesetzt, nur auf Seen gebräuchlich, und heisst gegenwärtig noch so auf dem Luzernersee, dagegen Ledischifi (Ledi : Ladung) auf dem Zürchersee.


Der Weidling läuft vorn und hinten beinahe spitz zu, besteht aus drei oder mehr Brettern, wird zum Transport von Menschen und Waren (Früchten) benutzt und von zwei Personen in Bewegung gesetzt. Sein Name rührt von dem Worte „Weidlig“, auf Schweizerdeutsch hurtig, schnell, her, weshalb er auch Jager genannt wird. Der Einbaum ist das älteste Fahrzeug auf den Schweizerseen wie ohne Zweifel auf allen europäischen Binnengewässern und besteht in seiner ursprünglichen Form aus einem wuchtigen, gewaltigen ausgehöhlten Eichenstamm. Früher das einzige Fahrzeug auf See und Fluss, ist es gegenwärtig nur noch Fischerkahn und heisst (pers pro toto) häufig Gransen, ein Wort das eigentlich prora bedeutet (Grafl"s Wörterb. IV. 333 granso prora). Im vordern häufig mit einem Steine beschwerten Theile des Schiffes befindet sich nämlich der Fischbehälter.

Wunderbarerweise hat sich der ehrwürdige Einbaum auf einigen Seen der östlichen Schweiz in der gleichen Form, wie er in den Pfahlbauten gefunden wird, erhalten und ist mithin von einer Bevölkerung des Landes der andern überliefert worden. Wie vor 3000 Jahren in der Stein- und Bronzezeit befährt er gegenwärtig noch ruhigen Ganges den Spiegel des Aegeri-, Zuger-, Luzerner- und Sempachersee's. Auf dem Zürchersee, wo er früher häufig gewesen, ist er in seinen letzten Exemplaren am Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts verschwunden.


Sein Ende naht überall mit raschen Schritten heran, da dicke Eichen- und Tannenstämme für Bauzwecke immer mehr gesucht werden. Vielleicht mag es dem einen oder andern unserer Leser, welcher die oben genannten Seen nicht aus Anschauung kennt, willkommen sein, die ursprüngliche und die vervollkommnete Form dieses Fahrzeugs näher kennen zu lernen.

(Bericht von anno 1868)