Wiler - ein untergegangenes Dorf


Es ist sicher, dass zwischen Bellmund, lpsach und Sutz das Dorf Wiler stand. Bis heute ist diesem Teil der Geschichte unserer Gegend niemand nachgegangen, und wir wissen nicht genau, wo diese Siedlung stand und weshalb sie verschwand.

Der Nidauer Stadtschreiber Abraham Pagan schreibt um 1770: «Es werden auch etliche Dörfer oder Örter vermisst, welche noch im 14. und 15. Jahrhundert gestanden hatten.  Nicht weit von Bellmund stuhnd das Dorf Wyler, welches einem gantzen Feld (Wilerfeld) und dem dabei gelegenen Wald (Wilerholz) den Nahmen gegeben und im Jahr 1400 noch stand. Diesem Wylerfeld gegenüber auf der Buchse-Zelg, wo der lpsach-Rebberg angelegt worden, findet man gebakene Mauersteine, und der Platz heisst noch heutzutage die Stadt. Der Nahme Wyler lässt vermuthen, dass dieses Dorf hier möchte gestanden haben» Tatsächlich existierte gemäss einer Urkunde vom 27.September 1400 noch ein «Schmittenzehnten» von Bellmund und Wiler. Auf ihn erhob der Prior der St.Petersinsel Anspruch, wurde aber von einem Schiedsgericht zurückgewiesen. 1417 ist noch ein Zinspflichtiger von lpsach und Wiler aktenkundig. 1512 heisst es im Jahrzeitenbuch der Stadt Nidau: «item Burcki Gnegi hat gesethtz ein Jahr (zeit) fur sich und sin husfrowen Anna und für al sin forderen iij imi gutes Weizen, und hat die geschlagen uf sin gut ze Wiler, daz sich nempt Kisligs gut, und soll man alle jar ir jarzeit began..,» lm Nidauer Urbar von 1538 ist die Rede vom «dritt teil des zennden ze Wyler», und im Urbar von 1551 ist unter Bellmund noch ein «Hof ze Wiler» genannt.

Wüstungen waren im Mittelalter sehr häufig. Längst nicht jedes Dorf und längst nicht jede Stadtgründung konnten sich halten. Welches sind die Ursachen? Es konnten Zufälle sein, zum Beispiel eine Feuersbrunst, ein kriegerisches Ereignis, das zur Aufgabe einer Siedlung führte. Es kann aber auch ein Bevölkerungsschwund die Ursache sein, bedingt durch Seuchenzüge. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurde Europa von der grössten Bevölkerungskatastrophe seiner Geschichte heimgesucht. Die Pest wütete und verursachte einen dramatischen Bevölkerungsrückgang. Damals blieben viele Siedlungen für immer verödet. Schliesslich kann die Ursache eine Naturkatastrophe oder eine allmähliche Verschlechterung der natürlichen Bedingungen sein. Eine solche lässt sich im Fall Wiler vermuten. Einen Hinweis gibt Pagan: «Dieser See ist schiffbar und an vielen Orten ungemein tief, absonderlich von der St.Peters lnsel in seiner Mitte gegen Osten herab. An der mittäglichen Seite ist er mit Schilf-Rohren überwachsen, woraus zu vermuthen ist, dass er der Länge nach auf dieser Seite etliche 100 Mäder Wiesen oder Allmenten, seit undenklichen Jahren weggefressen haben, und in alten Zeiten viel kleiner gewesen sein muss» (Pagan 1761, 5.822). Der Seespiegel der Seelandseen war in vorgeschichtlicher und geschichtlicher Zeit immer grossen Schwankungen unterworfen. Um 3200 v.Chr. lag er bei 427 m über dem Meeresspiegel, zu Beginn unserer Zeitrechnung bei 429 m. Er stieg weiter an, besonders steil um die Jahrtausendwende und erreichte um 1800 die maximale Höhe von fast 432 m über Meer. Bei Seehochständen, bedingt durch Schneeschmelze, grosse Regenfälle oder Unwetter konnte so das flache Gebiet des lpsach-Mooses und das Land am untern Kürze-Graben zeitweise unter Wasser gesetzt werden. Dort wo die Staatsstrasse lpsach-Sutz den Kürze-Garben quert, haben wir heute die Höhenkote 434. Überschwemmungen dieses Bereichs waren also möglich und konnten seit dem 14. oder 15. Jahrhundert zur allmählichen Versumpfung und damit zum Verlust von Fruchtfläche geführt haben. Damit hätte die Siedlung Wiler ihre wirtschaftliche Grundlage verloren, so dass die Bevölkerung abwandern musste. Allerdings spricht die Tatsache, dass noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts zehntpflichtiges Land da war, gegen diese These.

Man kann auch an eine Naturkatastrophe denken. Das Jahr 1342 war das schlimmste Hochwasserjahr in der europäischen Geschichte. Wissenschaftler sprechen vom «hydrologischen GAU»_ Ausgelöst wurde dieser «Grösste Anzunehmende Unfall›› im Spätsommer 1342 durch ununterbrochene achttägige Niederschläge in grossen Teilen Europas. Es ist erwiesen, dass damals an ackerbaulich genutzten Hängen bis 10 m tiefe Kerben einrissen, begleitet von intensiver Flächenerosion. Da der fragliche Siedlungsstandort in leicht geneigter Hanglage im Einzugsbereich des Kisliggrabens und des Kürzegrabens liegt, ist eine Hochwasserkatastrophe als Ursache für die Aufgabe der Siedlung nicht auszuschliessen. Aufschluss geben könnte allenfalls eine stratigraphische Untersuchung der obersten Bodenschichten. Bei der Beurteilung der Geschichte unseres verschwundenen Nachbardorfes ist auch zu bedenken, dass die Bauernhäuser damals nicht viel mehr als armselige Hütten waren. «ln dem Baurenlande sind die Wohnungen meistens von Holz und mit Schauben (Stroh) zugedeckt. Sie werden auch leicht von einem Ort zum andern geführt, und in kurzer Zeit von frischem wieder aufgerichtet, welches oft geschieht; ganz neue werden nicht viele mehr gebauet» (Pagan 1761, 5.851). Häuser waren also transportierbar, galten als Fahrhabe, so dass die Verlegung eines Gehöfts keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bot. 
Wo aber müssen wir uns die Häuser der Siedlung Wiler vorstellen? Helmut Gnägi machte uns darauf aufmerksam, dass er unterhalb des Wilerfeldes immer Tonscherben und Hausratreste gefunden habe. Schon sein Vater meinte, dass hier Häuser gestanden haben könnten. Auch das Gebiet könnte stimmen, liegt es doch wenig östlich des Chisliggrabens zwischen lpsach und Sutz und grenzt, wie erwähnt, direkt an das Wilerfeld. Wir haben deshalb 1990 begonnen, auf dem vermuteten Platz systematisch Kulturreste zu sammeln. Die sehr zahlreichen und schönen Scherben von Öfen und Geschirren, die aufgesammelt werden konnten, sind aber als Beweis nicht genügend. Neben einem römischen Fundstück stammen die meisten aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Die Suche nach dem genauen Standort des verschwundenen Dorfes geht also weiter.