Der römische Wasserstollen bei Hagneck

Nicht ohne Grund leitet der Altertumsforscher Albert Jahn sein für die damalige Zeit epochales und auch heute noch seinen Wert besitzendes Werk über den Kanton Bern mit dem Seeland ein, hat doch gerade dieser bernische Landesteil bis auf den heutigen Tag bei jeder sich bietenden Gelegenheit Spuren seiner traditionsreichen Vergangenheit zu Tage gefördert.

Für die archäologische Forschung waren dabei besonders die beiden Juragewässerkorrektionen (1868-1890 und 1962-1973) von entscheidender Bedeutung, gab doch bei beiden Unternehmungen die Senkung des Seespiegels unzählige Funde preis, die nicht nur neue Rückschlüsse für Entstehung und Art der Uferrandsiedlungen der drei Juraseen, sondern ebenso für die frühere Besiedlung des Seelandes, insbesondere des Grossen Mooses, vermittelten. Der Leiterin des archäologischen Dienstes der 2. Juragewässerkorrektion, Fräulein Dr. Hanni Schwab aus Freiburg, ist dabei sowohl anhand eines ausgiebigen Fundmaterials, das vorletztes Jahr in einer äusserst interessanten Ausstellung zu sehen war, als auch dank eines umfassenden Studiums der Ortsnamengeschichte des betreffenden Gebiets der Nachweis gelungen, dass das Seeland sowohl in keltischer, römischer als auch nachrömischer Zeit zumeist trocken, begehbar und auch besiedelt gewesen war, und dass dieses Gebiet erst seit dem 15. Jahrhundert periodisch von Überschwemmungen heimgesucht wurde. Eine Ausnahme muss dabei wohl das Hagneck-Moos gemacht haben, denn anders liesse sich auch heute nicht die grosse römische Pioniertat, die zufällig beim Bau des Hagneck-Kanals 1874 entdeckt wurde - der römische Wasserstollen - erklären.

Dabei war man schon früher - 1858 - bei den Arbeiten des Tunnels der Berner Torfgesellschaft auf einen Teil dieses römischen Wasserstollens gestossen, ohne damals freilich seine Bedeutung zu erkennen . Da der neue Torfstollen, der dazu angelegt wurde, den ausgebeuteten Torf auf Rollwagen direkt durch den Hügelzug, der das Hagneck-Moos vom Bielersee trennt, an den Bielersee zum Verschiffen zu führen, in seiner First die Sohle des entdeckten älteren Stollens berührte und deshalb begründete Gefahr vor Zuschüttung drohte, wurde die First des Torftunnels kurzerhand zugemauert und derselbe gegen Wassereinbruch von oben mit einem starken Eisenblech gesichert.

Erst 1874, als während der 1. Juragewässerkorrektion der Hagneck-Kanal gebaut wurde, sollte sich das Rätsel lösen, als man in der Nähe des Durchstichs wiederum auf eine Höhlung stiess, die sich schliesslich zu einem 600 Fuss langen Stollen erweiterte, den gleichen, wie sich gleich zeigen sollte, der schon früher einmal berührt worden war, und den der Archäologe Edmund von Fellenberg in einem ausführlichen Bericht anhand der Funde sogleich als römisch erkannte. Dieser Stollen macht in seinem letzten Drittel gegen das Moos hin eine Biegung nach Westen, so dass sein Ausgang, der bis jetzt unentdeckt geblieben ist, weit ausserhalb des Kanaleinschnittes liegen dürfte. Er muss von den Römern als Entwässerungstunnel angelegt worden sein - Wahrscheinlich gegen Ende ihrer Herrschaft - und hatte dazu zu dienen, das Wasser aus dem Hagneck-Moos unter einem felsigen Hügelzug hindurch in den Bielersee abfliessen zu lassen, um so die wichtige Militärstrasse vor Überschwemmungen zu schützen, die vom Genfersee über Avenches in schnurgerader Richtung nach Petinesca und von da nach Vindonissa führte . Staehelin nennt diesen Stollenbau, der von einer gewaltigen technischen Leistung zeugt, das grösste derartige Werk, das die Römer in der Schweiz hinterlassen haben.

Wie sieht nun dieser Stollen aus? [Vergleiche Bild] Seine Höhe misst 1,6 bis 2 m, seine Breite in der Sohle 1,2 bis 1,3 m, im Scheitel 0,8 m. Das Gestein, in das der Tunnel getrieben wurde, ist die Süsswassermolasse, Welche auch das ganze südliche Ufer des Bielersees durchzieht, und die durchsetzt ist mit roten Mergelschichten, zwischen denen mächtige Bänke eines sehr festen, quarzigen und tonigen Sandsteins liegen.

Brandspuren im Stollen und verkohlte Holzreste von Balken in demselben lassen deutlich die Art seiner Errichtung mit Hilfe von Feuer (sog. Feuersetzen) erkennen, indem man das Gestein durch intensives Erhitzen und sofortiges Besprengen mit Wasser mürbe und so für die Bohrung geeigneter machte. In den weicheren Partien war der Stollen mit einer Türstockzimmerung versehen, um ihn so gegen das Einstürzen der Wandungen zu schützen. Rätselte man früher über das Alter dieses Stollens, von dem lange Zeit keine Spur mehr sichtbar blieb, und dessen Schächte so gründlich verschüttet waren, dass hoher Wald darüber wachsen konnte - hartnäckig hielt sich die Meinung, es handle sich um ein frühmittelalterliches Werk, eine Art Fluchtweg für die Besatzung der alten Burg Hagneck - so gaben die späteren, weniger spektakulären, aber umso typischeren Funde, die in den Schächten des Stollens gemacht wurden, bald eine Antwort auf die Frage nach der Datierung der monumentalen, unterirdischen Anlage. Beim ersten Fund, der gemacht wurde, handelte es sich um einen Bronzekessel (Abb. S. 93), der zuunterst in einem Schacht lag. Er besteht aus getriebenem, dickem Bronzeblech. Der obere Rand und ebenfalls der Henkel sind aus Eisen. Der Durchmesser am oberen Rand beträgt 32,5 cm, die Höhe 18,5 cm. Der Kessel ist an verschiedenen Orten durch Bronzeblechstücke, welche auf die Kesselwände aufgenietet sind, geflickt. Seine Datierung ergibt sich aus der Zusammenstellung des Metalls und der Art der Nietung, wie aus dem Umstand, dass ähnliche Kessel  bei Brügg gefunden wurden. Beim zweiten wichtigen Fund für die Datierung des Alters des Stollens handelt es sich um einen noch gut erhaltenen Tonkrug (Abb. S. 91) von 25 cm Höhe. Zudem sind noch eine eiserne Ahle, eine Pflasterkelle, eine römische Axt und andere Kleindinge gefunden worden, die heute im Bernischen Historischen Museum sind.

Nach den Gefällsverhältnissen, wie sie Ingenieur v. Morlot aus Nidau in einer besonderen Zusammenstellung von Fellenberg für seine Arbeit zur Verfügung stellte, geht hervor, dass der Ausfluss des Römerstollens sehr hoch konzipiert war, jedenfalls höher als der bekannte höchste Wasserstand des Bielersees vor der ersten Korrektion. Er ist, wie wir bereits dargestellt haben, auch in einer höheren Lage angelegt als der Tunnel der Torfgesellschaft, den er in der First berührt. Daraus geht hervor, dass zur Zeit der Anlage des Stollens das Wasserniveau im Hagneck-Moos sehr hoch gewesen sein muss und jedenfalls eine ständige Gefahr vor Überschwemmung der römischen Verbindungsstrassen im Grossen Moos bedeutete, die jederzeit offen zu halten zum wichtigsten Anliegen der römischen Verteidigungsstrategie gegenüber den nordischen Nachbarn gehörte.

Dr.Marcus Bourquin Biel